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Alex

Paul Voß: "Dieser Tag war die Hölle auf Erden."

Aktualisiert: 27. Apr. 2021

Geboren an der Küste, zog es ihn hinaus, um Radrennen zu fahren. Was er heute macht, was es mit einem Gravel-Bike auf sich hat und warum er regelmäßig im Besenwagen sitzt, wird er uns heute erklären:


Hallo Paul, du hast deine aktive Karriere 2016 beendet. Was hast du seitdem getrieben?


Als ich aufhörte, habe ich 2017 für das Team Wiggins in Großbritannien als sportlicher Leiter gearbeitet. Ich habe dort auch Firmenausfahrten für verschiedene Unternehmen durchgeführt. 2018 kam ich dann zurück nach Deutschland und habe bis zur Auflösung 2020 für das deutsche Continental Team „LKT Team Brandenburg“ gearbeitet, ebenfalls als sportlicher Leiter und zusätzlich als Coach. In der Zeit fingen wir auch mit unserem Podcast an. 2017 fing ich auch als Kommentator für ARD und ONE an und begleite die Tour de France. Aber auch ansonsten hatte ich immer irgendwo meine Finger im Spiel und hab öfter etwas für im Radsport tätige Firmen gemacht. Von 2016 bis Ende 2019 hatte ich auch ein eigenes Juniorenteam, PVDT – Paul Voß Development Team. Alles drehte sich also immer weiter um den Radsport und oft um den Nachwuchs.


Du warst also dem Radsport immer treu und bist mittlerweile ja auch selber wieder aktiv, nämlich als Gravelbike-Fahrer. Erklär doch mal bitte kurz, was genau ein Gravelbike ist.


Gravel ist ein Mix aus Straßenrad, Mountainbike und Crossrad, also breit gefächert. Es ist die „eierlegende Wollmilchsau“ unter den Fahrrädern. Im Prinzip kaufst du ein Rad und kannst damit alles machen. Du kannst damit ähnlich dem Mountainbike im Gelände unterwegs sein, aber bist damit auch auf der Straße schnell oder genießt einfach schöne Schotterwege. Es mixt alle Sportarten ziemlich gut durch, mal abgesehen vom Bahnradsport.


Warst du denn in deiner Karriere auch mal auf der Bahn aktiv?


Ja, im Nachwuchsbereich. Es war ok, aber ich war nie brillant. (lacht)


Deinen sportlichen Start hattest du aber im Crosssport und bist dann später auf die Straße gewechselt.


Ich bin zwar nicht wirklich in der DDR groß geworden, aber dort geboren. Unser Training war strukturell noch sehr daran angelehnt. Man hat viel Wert darauf gelegt, die Sportler/innen in allen Bereichen auszubilden. Wir haben Bahn trainiert, Cross, Mountainbike, Straße und viel Athletik im Winter. Daher habe ich schon früh eine Liebe zum Crosssport und dem Gelände allgemein entwickelt. Ich war auch auf der Straße erfolgreich, gewann in der Jugend bei den deutschen Meisterschaften eine Medaille. Ich hatte aber auch immer Spaß am Cross und war dort ebenso erfolgreich. Später ging es dann auf die Straße. Beide Disziplinen haben mir für das jeweils andere Metier geholfen. Von daher bin ich mega froh, dass ich alles mal ausprobieren durfte.


Du hast eben schon deine sportlichen Erfolge erwähnt. Dein wohl größter Erfolg war ein Tag im gepunkteten Trikot des Führenden in der Bergwertung bei der Tour de France.



Paul Voß Polka Dot Radrennen Rennrad
Paul im Polka Dot-Trikot

Ich würde es nicht als den größten Erfolg bezeichnen. Ich hab auch ein World Tour-Rennen gewonnen und bin auch andere gute Rennen gefahren. Die Tour de France sticht natürlich heraus, aber ich habe auch beim Giro D´Italia 4 oder 5 Tage das Bergtrikot getragen. Ich würde das jetzt gar nicht so herausheben. Für mich ist es nicht das Topergebnis meiner Karriere.


Welches Rennen oder welche Etappe war das oder die härteste deiner Karriere? Für viele ist ja Paris-Roubaix, auch „Die Hölle des Nordens“ genannt, das härteste Rennen.


Das ist für jeden etwas anders, auch abhängig davon, was für ein Typ Rennfahrer man ist. Wenn ich an meine gesamte Karriere zurückdenke, gab es da einen Tag, der die Hölle auf Erden war. Das war aber nicht Paris-Roubaix, sondern eine Etappe bei der Vuelta Espana. Wir fuhren in Andorra und sind schon bei fast 0° Celsius gestartet. Irgendwann mussten wir dann hoch auf 2400 m zum höchsten Punkt Andorras. Auf dem Weg nach oben bekamen wir Schneeregen. Man musste dann auch wieder die Abfahrt Richtung Stadt in Angriff nehmen. Ich habe noch nie so sehr gefroren wie an diesem Tag. Ich zog mir eine Daunenjacke an und bekam zusätzlich von einem Mechaniker, welcher sehr breit war, eine Regenjacke. Ich bin also rumgefahren wie das Michelinmännchen. Ich konnte nicht mehr alleine essen, der sportliche Leiter musste mich aus dem Auto heraus ernähren, mir Riegel öffnen und in den Mund schieben. Auch schalten ging kaum noch. Einige Fahrer haben in der Abfahrt angehalten und sind in die Autos gestiegen, um sich einige Minuten aufzuwärmen und komplett die Klamotten zu wechseln. Das war der härteste Tag. Man war körperlich am Limit und hat gemerkt, das, was ich hier gerade mache, ist eigentlich ziemlich dumm. Es war ja auch kein episches Rennen, aber definitiv eine krasse Ausnahmesituation, die ich aber in der Form auch nicht mehr erleben muss.

Die härteste Rundfahrt ist sicherlich die Tour de France, weil dort der meiste Druck herrscht und das Niveau am höchsten ist. Bei Ein-Tages-Rennen kommt es ganz darauf an, was für ein Fahrertyp du bist. Aber klar, ein Rennen wie beispielsweise die Flandernrundfahrt ist schon hart. Es ist zum Ende hin ein schleichender Tod. Man bekommt es gar nicht so mit, aber auf einmal geht nicht mehr viel. Das schönste Rennen für mich ist sicherlich Mailand-San Remo.


Der von dir beschriebene schleichende Tod kommt wahrscheinlich auch durch die vielen Kopfsteinpflasterpassagen.


Auf jeden Fall. Dazu kommen die Anstiege, die mit normalem Asphalt schon hart wären. Es ist die Kombination aus diesem, gepaart mit Positionskämpfen. Man bekommt es bei den Fernsehübertragungen auch oft nicht so mit. Die Geschwindigkeit kommt nicht 1:1 beim Zuschauer an. Oftmals sind die Stellen, die man beim Zuschauen nicht vermuten würde, die härtesten.


Wie oft musstest du bei einem Radrennen in den Besenwagen steigen?


Boah, schon ein paar Mal, aber genau kann ich es nicht sagen. Am Anfang der Karriere bist du oft noch Helfer. Irgendwann, wenn dein Job erledigt ist, kannst du dann auch aussteigen. Gerade in meinen ersten Jahren als Profi, hatte ich auch ziemlich viele Renntage. Du gehst einfach irgendwann raus, wenn du weißt, dass schon bald das nächste Rennen ansteht. Man will ja auch nicht unnötig Kraft verschleudern.


Du ahnst wahrscheinlich schon, worauf diese Frage abzielte. Früher traf man dich ab und zu im Besenwagen, heute sitzt du regelmäßig drin, denn du betreibst mit zwei Mitstreitern einen gleichnamigen Podcast. Erzähl uns doch von deinem Projekt und wie es zu Stande kam.



Paul Voß Wohnzimmer Laptop Schreibtisch
Paul ganz privat

Andi (Andreas Stauff) und ich kennen uns schon ewig, nämlich seit wir beide Profis sind. Irgendwann haben wir dann beide die Karriere beendet. Wir haben uns öfter in Berlin getroffen, weil ein Kumpel von ihm hier wohnt. Die Idee zu einem Podcast hatten wir schon länger. Irgendwann rief er mich an und meinte „Lass uns das machen“. Ich sollte mich dann mit Bastian Marks treffen, das geschah 2018. Eine Woche, nachdem wir uns trafen, haben wir bereits die erste Folge aufgenommen. (lacht)

Es war relativ spontan und unkoordiniert, so wie der „Besenwagen“ immer noch ist. Was es erfolgreich macht, ist die Mischung aus fachspezifischem und dem Blödsinn den wir reden.


Das solltet ihr auf jeden Fall beibehalten, denn dadurch kommt ihr sehr authentisch rüber.


Das wollen wir auch. Wir haben uns mittlerweile ganz gut zurechtgefunden und ziehen das weiter durch und wollen uns unsere Unabhängigkeit bewahren.


Ein anderes Projekt was du gerade vorbereitest, ist eine Reise mit dem Gravelbike zum südlichsten Punkt Deutschlands. Man darf sogar über deine Route mitbestimmen. Erzähl uns doch mal davon ein bisschen.


Die Idee hatte ich bereits im letzten Jahr. Ich hatte Bock einfach durch Deutschland zu fahren, da man ja eh nicht großartig verreisen durfte. Auch dadurch wurde es dann konkret, denn nun gab es einen guten Grund. Ich habe mich dann mit den Leuten meines Partners Komoot (Anm. d. Red.: eine Routenplaner- und Navigations-App) besprochen und von denen kam dann die Idee, dass meine Follower meine Route bestimmen können. Ein paar Leute haben sich echt Mühe gegeben und es sind ein paar geile Strecken zusammengekommen. Ich bin mal gespannt, was ich mir letztendlich daraus zusammenbaue.


Das klingt auf jeden Fall nach einem spannenden Projekt.


Ja, ich hab da auch mega Bock drauf und werde es mit meinem kleinen Bruder zusammen in Angriff nehmen. Mein Kameramann wird uns auch mit dem Auto begleiten und wir werden am Ende eine kleine Doku daraus machen.


Wo werdet ihr übernachten auf der Reise? Schlaft ihr draußen oder habt ihr feste Unterkünfte?


Nee, wir haben feste Unterkünfte. (lacht)

Mein Bruder ist halt dabei, der Kameramann…

Ich finde es auch Quatsch, den Zuschauern vorzugaukeln man würde campen, während man gleichzeitig von der Kamera begleitet wird. Sich den ganzen Krempel ans Rad zu binden, während man von einem Auto begleitet wird, das ist für mich nicht authentisch. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen schon jeden Tag anspruchsvolle Routen fahren, auch durchaus 10 bis 12 Stunden pro Tag und wollen dann aber auch in geilen Hotels oder ortstypischen Unterkünften übernachten. So hat der Kameramann die Möglichkeit, sein Equipment aufzuladen und für uns ist es auch besser so, als morgens im Zelt aufzuwachen und sich scheiße zu fühlen. Das kommt bestimmt auch irgendwann nochmal, aber wir fangen erst mal so an.


Eine andere Sache, die du nach deinem Karriereende für dich entdeckt hast, ist das Laufen. Gibt dir das einen gewissen Ausgleich zum Rad fahren oder was waren die Gründe?


Als ich damals noch als sportlicher Leiter unterwegs war, hatte man selten Zeit zum Rad fahren, also fing ich an zu laufen. Ich habe dann schnell gemerkt, dass es mir Spaß macht und es lief auch ganz gut. Ich hatte mir dann auch schnell Ziele gesetzt. Es kam natürlich Corona dazwischen, aber auch eine Verletzung. Als ehemaliger Radprofi ist man in der Lage relativ schnell zu laufen, aber der Körper, speziell die Muskeln und Gelenke, müssen sich erst mal daran gewöhnen. Ich bekam vor einem Jahr eine Stressfraktur, bin damit aber weiter gelaufen. Es wurde dann irgendwann so schlimm, dass ich vorerst 3 Monate aufhören musste. Ich hatte Stressfrakturen an beiden Schienbeinen. Seitdem laufe ich wieder ein bisschen und vielleicht trete ich in diesem Jahr noch bei einem Marathon oder Halbmarathon an. Es macht mir Spaß und ist ein geiler Sport. Wenn du läufst, bist du irgendwann wie in einem Tunnel. Das hat man beim Rad fahren relativ selten. Die Geschwindigkeit ist höher und du nimmst es anders wahr. Beim Laufen kannst du auch nicht rausnehmen. Auf dem Rad lässt du mal einen Tritt aus und rollst. Beim Laufen geht das nicht, dann bleibst du ja stehen. Das ist das Krasse, was es vom Radsport unterscheidet, aber wiederum eine geile Challenge ist, und ich liebe Challenges! (schmunzelt)


Ein echter Wettkampftyp also.


Auf jeden Fall, ja. (lacht)


Du warst früher als sportlicher Leiter aktiv. Wird man dich irgendwann wieder in dieser Funktion sehen?


Also erstmal möchte ich mich mit meinen Projekten selbst verwirklichen und die nächsten Jahre noch Rennen fahren. Wie du schon sagtest, bin ich ein Wettkampftyp und mag es, mich mit anderen zu messen. Nicht unbedingt um zu gewinnen, sondern um das Maximum aus mir rauszuholen. Vielleicht mach ich das in ein paar Jahren nochmal, aber momentan konzentriere ich mich auf die Gravelsache, Laufen und einfach das, worauf ich Lust habe. Es gibt gewisse Dinge, die hat man aufs Alter limitiert. Mit 40 brauche ich nicht mehr anfangen, Gravelrennen auf einem hohen Niveau zu fahren. Das kann ich jetzt mit Mitte 30 aber noch machen und die Zeit möchte ich auch nutzen. Ich bin natürlich auch froh, dass ich Partner gefunden habe, die mich unterstützen und Lust darauf haben mitzumachen.


Kommen wir nun zu unserer Abschlussfrage: Wenn du einen Wunsch für die Menschheit, oder den gesamten Planeten frei hättest: Welcher wäre das und warum?


Boah… (überlegt lange)

Soziale Gerechtigkeit! Nach Möglichkeit natürlich auch kein Krieg und keine Armut. Einfach soziale Gerechtigkeit…


Vielen Dank, Paul. Das war doch mal erfrischend. Wir wünschen dir alles Gute für deine Reise zum südlichsten Punkt Deutschlands und all deine anderen ehrgeizigen Projekte. Möge dich der Defektteufel immer verschonen.

Und nun schließt es sich für heute, unser kleines Interviewbüchlein. Wir hoffen, ihr hattet Spaß am Lesen. Wenn dem so ist, dann tragt es hinaus in die Welt und macht uns damit glücklich. Macht es gut…


Fotos: bettiniphoto.net, privat

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