Im heutigen Interview geht es um ein großes Nachwuchstalent im Radsport. Juri Hollmann wurde zwar nicht auf einem Fahrrad geboren, aber fing sehr früh an seine Welt auf zwei Rädern zu erkunden. Wie weit ihn das bisher führte, warum es ihn von Berlin nach Köln verschlug, wie sein Einstand in der dortigen Trainingsgruppe war und noch vieles mehr versteckt sich in den folgenden Zeilen:
Hallo Juri. Erzähl doch bitte kurz, wer du bist und was du machst.
Ich komme ursprünglich aus Berlin und bin am 30.08.1999 geboren. Mit dem Radsport habe ich schon früh angefangen. Ich glaube, ich habe meine erste Moutainbikelizenz bereits mit 6 Jahren gelöst. Vom Mountainbike ging es später Richtung Crossrennen und danach in den Straßenradsport. Nach der 8. Klasse bin ich dann auf die Sportschule nach Cottbus gewechselt und kam somit auch mit dem Bahnradsport in Berührung. Ich fuhr dann auch nur noch Rennen auf der Bahn und der Straße. Nach dem Abschluss des Abiturs zog es mich nach Köln, um sportlich den nächsten Schritt zu machen. Aktuell bin ich Profi beim Team Movistar.
Du hast die sportlichen Anfänge eben beschrieben. Da ich deinen Papa schon länger persönlich kenne, weiß ich, dass du bereits sehr früh mit Fahrrädern in Berührung kamst.
Das stimmt. Wann genau, weiß ich nicht. Ich hab sehr früh angefangen. Ich fuhr teilweise bereits mit dem Rad zur Kita, wenn ich bei meinem Papa war. Meine Eltern waren bereits früh getrennt und ich kenne sie nur so. Von seinem Wohnhaus aus waren es ungefähr 20 km bis zur Kita. So fing alles an. Als ich später zur Schule ging, hatte ich auch einen Weg von 10 km pro Strecke, also am Tag auch locker 20 km. Das richtig professionelle Training fing aber erst in der 9. Klasse auf der Sportschule an. Vorher fuhr man trainieren, auch lange Strecken, aber alles eher nebenbei und ohne Struktur.
Haben dir diese Wege ein bisschen den Weg zum Radsport geebnet?
Es war eine gute Grundlage für meine Ausdauer. (schmunzelt)
Ich glaube aber nicht, dass es den Weg geebnet hat. Ich hatte einfach Spaß am Radfahren. Was wohl eher dafür gesorgt hat, ist die Tatsache, dass ich schon immer ein Wettkampftyp war. Immer! Man kann mit mir kein Tischtennis oder andere Dinge spielen, ohne dass ich in den Wettkampfmodus wechsle. Ich gebe immer Vollgas und liebe es, mich zu vergleichen. Das war als Kind schon so. Es existiert ein Foto, da müsste ich 6 oder 7 Jahre gewesen sein, auf dem ich mit anderen Kindern Fahrrad fahre. Alle Kinder sehen normal aus, aber mich sieht man mit aufgerissenem Mund, die Augen zugekniffen, Zähne fletschend im Vollspurt wie ich ans Limit gehe. Den Willen, mich im Wettkampf zu vergleichen, hatte ich also damals schon. Da meine Eltern früher beide auch an Radrennen teilnahmen, wurde es mir so vorgelebt und das wollte ich natürlich nachmachen.
Würdest du auch behaupten, dass sie deine größten Mentoren waren?
Nein, mein allergrößter Mentor ist Rainer Gatzke, mein Juniorentrainer aus Cottbuser Zeiten. Rein trainingstechnisch ist er ein Mensch, auf den ich immer wieder gerne zurückgreife. Mir haben viele Leute den Weg geebnet, aber wenn ich eine Person aussuchen müsste, dann wäre er es.
Über ihn könnte man ein Buch schreiben. Er ist eine lebende Trainerlegende und hat mit Sportlern wie Lennard Kämna, Nikias Arndt, Heinrich Haussler oder Max Kanter gearbeitet. Eigentlich alle guten Leute aus Cottbus hatte er unter seinen Fittichen. Er ist mittlerweile in Rente und arbeitet nicht mehr in Cottbus, aber er ist jemand, den ich immer um Rat fragen kann. Er kann Dinge gut veranschaulichen und gut vermitteln, welche Vor- und Nachteile bestimmte Trainingsinhalte bringen.
Du warst schon immer gut, aber wann war der Moment, an dem dir klar war, dass du Profi werden möchtest und auch das Zeug dazu hast?
Bis zur U11, U13, habe ich fast alles gewonnen. In der U15 hatte ich dann einen kleinen Hänger, da ich nicht mehr von meinen Wegen zur Kita und Schule profitieren konnte und auch sonst nicht regelmäßig trainiert habe. Dann kam ja die Entscheidung nach Cottbus zu gehen und ich habe dort das erste Mal in meinem Leben wirklich strukturiertes Training absolviert. Ich merkte relativ schnell, dass ich gut bin und wieder mitmischen kann und wurde in meinem 2. Jugendjahr, 3- oder 4-mal deutscher Meister. Dann geht es auch los, dass einem von außen das Talent zugesprochen wird. Es gab aber viele, die in der Jugend schon gut waren, aber das Niveau nicht halten konnten. Letztlich weiß man noch nicht, wo einen sein Weg hinführt, aber ab dieser Zeit fing ich an, ein bisschen zu träumen. Ich wusste, dass ich das Talent habe, dass ich Profi werden will und genau dafür alles tue. Ich ging dafür ja auch extra nach Cottbus und für mich war eine Profikarriere durchaus realistisch, auch wenn ich dann in meinem ersten Jugendjahr ordentlich den Hintern versohlt bekam. (schmunzelt)
Letztendlich hat es ja dann auch geklappt mit der Profikarriere. Du kamst 2019 als Stagière (Anm. d. Red.: Eine Art „Profi-Praktikant“) zum Team Katusha, und fährst seit 2020 fest beim Team Movistar. Wie kam der Kontakt zustande und wie wurde man auf dich aufmerksam? Lag es an den guten Ergebnissen in der Jugend oder wurdest du empfohlen?
Im modernen Radsport dreht sich viel um Wattwerte. Das war sicherlich ein Fakt. Die Ergebnisse aus der Jugend, spielen tatsächlich keinerlei Rolle bei Profiteams. Es mag Ausnahmen geben, aber auch dann ist es eine Kombination aus guten Ergebnissen und den Wattwerten.
Ich fuhr ab 2018 beim Continentalteam „Heizomat rad-net.de“ und konnte dort bei verschiedenen Zeitfahren und Frühjahrsklassikern auf mich aufmerksam machen. Bei Katusha gab es dann 2019 eine Scoutingaktion, mit der man einen Stagière suchte. Ich denke, dass ich den Platz aufgrund meiner Werte, der Ergebnisse und des Alters – ich war der jüngste der Anwärter – bekommen habe. Natürlich habe ich es auch ein Stück weit meinem Umfeld zu verdanken. Ich zog ja irgendwann nach Köln und habe dort mit Andre Greipel, Nils Politt und Rick Zabel trainiert. Rick und Nils waren zu diesem Zeitpunkt beide bei Katusha und haben natürlich ein gutes Wort für mich eingelegt. Ich denke, das hat natürlich auch geholfen.
Bei Movistar war es so, dass man einen deutschen Fahrer suchte. Auch dort war es eine Kombination meiner Werte, Ergebnisse, sowie meines Auftretens in meinem jungen Alter bei Katusha, dass man sich letztlich entschied, mir diese Möglichkeit zu geben.
Du sprachst gerade Köln an. Warum hast du diesen Schritt von Berlin, über Cottbus nach Köln unternommen?
Nach dem Internat in Cottbus wohnte ich 5 Monate bei meiner Mutter im Erzgebirge. Mir war klar, dass es keinen Weg zurück nach Berlin gibt. Ich habe auf dem Internat gemerkt, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich ist. Man wird selbständig, entwickelt seinen eigenen Lebensstil. Ich habe ein super Verhältnis mit meinen Eltern, aber man eckt dann doch früher oder später mal an. Einen Platz bei der Bundeswehr hatte ich sicher und ich wusste, dass ich mir damit eine eigene Wohnung leisten kann. Außerdem wollte ich Maschinenbau studieren und schaute, welche Hochschulen diesen Studiengang in gestreckter Form anbieten, damit es mit dem Leistungssport kombinierbar bleibt. Eigentlich wollte ich runter in den Süden, nach Bayern. Man kann dort super trainieren, aber es ist sehr teuer. Eine andere Option war Freiburg im Schwarzwald. Beides hat dann aber irgendwie nicht geklappt und am Ende wurde es die Hochschule in Köln. Ich wusste, dass man dort gut trainieren kann. Es gibt dort viele Profis, man hat flaches Gelände, aber auch bergige Abschnitte. Von der Region gesehen ist Freiburg bestimmt noch ein bisschen schöner. Am Ende war es die Mischung aus guten Voraussetzungen für‘s Studium und einer guten Lage zum Trainieren, welche den Ausschlag für Köln gab.
Und wie bist du in die Trainingsgruppe mit Andre Greipel, Nils Politt und Rick Zabel hereingerutscht?
Frederic Störmann muss man noch erwähnen. Er ist zwar kein Profi, aber gehört definitiv dazu. Er wird leider oft vergessen.
Ich kannte Rick Zabel, aber er mich eher weniger. Er wusste, wer ich bin, aber das war es auch. Andre Greipel kannte mich durch meine Mutter und durch Torsten „Wille“ Wittig, aber auch zu ihm gab es keinen persönlichen Kontakt. Nils kannte ich gar nicht. Ich hatte also keinen Bezug zu der Gruppe. Eines Tages fuhr ich trainieren mit meinem Trainer (Ex-Radprofi) Ralf Grabsch. Auch er hatte natürlich Einfluss auf die Entscheidung nach Köln zu gehen, da er hier lebt. Aber zurück zum Thema: Ich fuhr mit Ralf trainieren und wir trafen die Jungs. Freddie war nicht dabei, da er noch studiert und lernte. Er hat ein bisschen mehr zu tun, als wir. (schmunzelt)
Ich kam mit Nils und Rick ins Gespräch und erzählte, dass ich neu in der Stadt bin. Wir fuhren dann auch mal zusammen trainieren und verabredeten uns einmal für den nächsten Tag, um gemeinsam zur „Schicken Mütze“, einem Café in Düsseldorf zu fahren. Das haben wir dann auch gemacht. Leider gab es auf dem Rückweg einen kleinen Zwischenfall. Rick stürzte, brach sich das Schlüsselbein und räumte mich mit ab. Danach hatte ich ein dickes Knie und Probleme. (lacht)
Und so bin ich in diese Trainingsgruppe gekommen, auch durch diese legendäre Fahrt zusammen. Es war unser zweiter gemeinsamer Ausflug. Das Ganze passierte im Herbst nach der Saison. Wir hatten Kaffee getrunken und etwas gegessen. Andre hatte einen Zahnarzttermin, also mussten wir zügig zurück. Wir wechselten von der Straße auf den Radweg. Leider war dort eine kleine Kante, die durch Laub verdeckt war. Die hat Rick dann schön mitgenommen und ist vor mir auf den Radweg gefallen. Ich bin direkt in ihn reingefahren und habe mich überschlagen. Ich fuhr dann mit Andre nach Hause, der hatte ja seinen Arzttermin, der Rest wartete, bis Rick abgeholt wurde. (schmunzelt)
Ein super Einstand, wie ich finde.
„Aufnahmeritual“ nennt man das. (lacht)
Ich denke, dass hat auf jeden Fall meinen Weg in diese Trainingsgruppe geebnet. Das mit den Knieproblemen hatte ich Rick auch nicht erzählt. Ich kannte die Jungs ja noch nicht und wollte ihm kein schlechtes Gewissen machen, da er schon gestraft genug war mit seinem Schlüsselbeinbruch. Und meinem Trainer wollte ich auch nicht erzählen, dass ich mit den Jungs gefahren bin und abgeräumt wurde. Also, habe ich einfach meine Schnauze gehalten.
Kommen wir zu deinen persönlichen Stärken. Siehst du dich eher als Mann für Etappenrennen, die Klassiker oder bist du eher der Sprintertyp?
Ich versuche mich gerade selbst zu finden. Als Bergfahrer würde ich mich eher nicht bezeichnen. Ich denke, dass ich dort zwar ganz gut sein könnte, aufgrund meines geringen Gewichts und meiner Leistung, was ein gutes Verhältnis darstellt, was aber trotzdem noch weit entfernt von Bergfahrern ist. Für die Klassiker bin ich mit meinen 70 kg fast zu leicht. Die Spezialisten sind kräftiger gebaut und teilweise richtige Maschinen. Ich hatte bisher noch nie die Möglichkeit, mich bei einem langen Etappenrennen auszuprobieren. Es wäre interessant zu sehen, wie das wohl aussähe. Ich würde mich grundlegend als Allrounder sehen, mit Tendenzen in Richtung Klassiker, Zeitfahren und hügelige Etappen.
Was war denn dein bisher kuriosestes Rennen?
Ich erinnere mich an die Oder-Rundfahrt, das muss in der U 15 gewesen sein. Wir fuhren im strömenden Regen und ein Gewitter zog auf. Ein Platzregen mit Hagel setzte ein. Keine 200 m von uns schlug ein Blitz ein. Das fand ich krass! Ich weiß auch noch genau, welche Etappe das war. Es ging über Feldwege und am Ende bog man von einer schmalen Straße nach rechts ab, wo sich nach 200 m das Ziel befand. Jeder, der mitfuhr, weiß, welche Etappe ich meine. (schmunzelt)
Ein anderes Rennen, auf welches ich stolz bin, ist das Bundesligarennen in Luckau. Ich war frisch bei den Junioren und der Trainer sagte: „Wir sind hier mit der B-Mannschaft, aber wollen trotzdem das Beste rausholen“. Ich fuhr mit einem Teamkollegen am Ende des Feldes. Wir merkten schnell, dass es aufgrund des herrschenden Windes recht hart ist. Ich kam dann auf die Idee, wir könnten ja Kante fahren (Anm. d. Red.: Das seitlich versetzte Windschattenfahren bei Seitenwind.), was man bei den Junioren eigentlich nicht macht. Ich sah es mal im Fernsehen und dachte, dass müssten wir auch hinkriegen. Vorne befand sich eine Spitzengruppe, in der wir keinen Fahrer hatten. Ich erzählte meinen Kameraden von dem Plan, weihte den Trainer ein und so fuhren wir los. Am Ende waren von 9 Leuten 7 in der Spitzengruppe und wir belegten die Plätze 1, 2, 5, 7 und 9. Ich war riesig stolz, was wir als Junioren und vor allem zusammen geschafft haben.
Gibt es für dich persönliche Ziele oder bestimmte Rennen die du gewinnen willst?
Ein Spanier würde jetzt sagen „Poco a poco“, also „Stück für Stück“. Als erstes möchte ich Profi bleiben und möchte mich etablieren. Danach möchte ich Rennen mit dem Team gewinnen und zu diesen Siegen beitragen. Und dann möchte ich natürlich auch ein UCI-Rennen gewinnen. Welches, ist erstmal nebensächlich. Ein weiterer Traum ist es, eine Grand Tour (Anm. d. Red.: Giro d´Italia, Tour de France, Vuelta Espana) zu fahren. Die Klassiker bin ich nun schon gefahren, auch wenn Paris-Roubaix verschoben wurde. Es steht aber in meinem Kalender.
Wenn ich das dann alles erreicht habe, dann träumt man natürlich von Siegen bei einem Klassiker oder einem Etappensieg bei einer Grand Tour. Klar ist das ein Traum und der Grund, wofür ich trainiere und hart arbeite. Bis dahin ist es aber definitiv noch ein weiter Weg.
Wie läuft das eigentlich mit der Auswahl der Rennen? Hast du ein gewisses Mitspracherecht, gibst du Wünsche an und kannst du auch Rennen ablehnen?
Man setzt sich im Winter zusammen und äußert seine Wünsche. Das Team geht dann mehr oder weniger darauf ein oder eben nicht. Mein Wunsch war es, die Klassiker zu fahren und die bin ich auch gefahren. Ein anderer Wunsch war eine Grand Tour, das wurde aber aufgrund meines jungen Alters abgelehnt. Den Rest gibt das Team vor und das habe ich dann auch zu fahren. Man lehnt so etwas auch nicht ab, das käme Arbeitsverweigerung gleich. Die ganz großen Namen im Feld haben natürlich nochmal ein anderes Mitspracherecht. Am Ende ist das Team aber dein Arbeitgeber und entscheidet.
Vor kurzem lief die Flandernrundfahrt, bei der du auch mitgefahren bist. Im Nachgang gab es kontroverse Diskussionen um Michael Schär und seine Disqualifikation. Er warf eine Trinkflasche einem Fan am Straßenrand direkt vor die Füße. Man darf Trinkflaschen und Müll aber nur noch im Teamwagen abgeben oder in gekennzeichneten Bereichen entsorgen. Was hältst du von dieser Regel und gibt es auch noch andere fragwürdige Regeln?
Diese Regel ergibt keinen Sinn! In meinem alten Kinderzimmer bei meinen Eltern ist ein halber Schrank voll mit Trinkflaschen von Erik Zabel, Jens Voigt, Fabian Cancellara…
Ich werde nie vergessen, wie ich als Kind mit einigen meiner Freunde beim Velothon Berlin war. Fabian Cancellara kam ins Ziel und hatte noch eine Flasche. Wir sind wie ein Rudel hungriger Wölfe über ihn hergefallen. Er meinte nur: „Was sagt man da?“ und keiner meiner Freunde hat schnell genug geschaltet. Ich wusste sofort, was er meint, sagte „Bitte!“ und habe seine Flasche bekommen. Ich hab sie zu Hause ausgespült und fuhr damit auch trainieren, aber auch nicht zu viel, denn sie sollte ja noch gut aussehen. Meine Eltern wollten später auch Flaschen wegschmeißen, aber alle waren mir heilig.
Es ergibt einfach keinen Sinn, die Flasche nicht zu Zuschauern, besonders Kindern, werfen zu dürfen. Dass man Flaschen und Riegel nicht, dort wo keine Menschen stehen, in die Natur werfen sollte, da stehe ich voll und ganz dahinter.
2010 waren wir bei der Tour de France. Auf einer Bergetappe warf ein Fahrer seine Flasche weg, sie rollte unter der Leitplanke hindurch und einen Wiesenabhang hinunter. Das war wirklich steil! Mein Freund mit seinen 11 Jahren und ich, sind über die Leitplanke gehechtet und diesen Abhang hinuntergestürzt. Was ich damit sagen will: Wenn Zuschauer am Rand stehen, werden die Flaschen auch eingesammelt, da bleibt keine liegen. Es ist ja auch ein tolles Souvenir. Von daher kann ich diese Regel in keinster Weise nachvollziehen.
Eine weitere fragwürdige Regel ist das Verbot der „Super Tuck“-Position. (Anm. d. Red.: Das Sitzen auf dem Oberrohr mit Unterarmen auf dem Oberlenker. Oft in Abfahrten zu sehen.)
In meinen Augen hätte man es mit Händen am Unterlenker erlauben können, denn so hat man die Finger direkt an den Bremshebeln. Man darf aber den Po gar nicht mehr vom Sattel nehmen. Es wurde aber komplett verboten und am Ende muss man es so hinnehmen.
Wenn man Radrennen verfolgt, sieht man immer wieder Absprachen unter Rennfahrern. Gibt es denn aber auch so etwas wie Trash-Talk im Feld?
Eigentlich nicht. Wenn man sich kennt, ist das etwas anderes. Rick Zabel ist zum Beispiel ein Typ, der gerne stichelt. Wenn wir uns im Rennen treffen, würde er zum Beispiel etwas sagen wie: „Hollmann, du siehst aber schlecht aus heute“. Aber das wäre ja eher freundschaftliches Sticheln. Natürlich gibt es Konversationen, wenn es um die Positionskämpfe geht. Wird einem unfair eine Position genommen oder gerempelt, dann beschwert man sich schon, auf Englisch dann, oder brüllt herum. Aber unnötigen Trash Talk gibt es ansonsten eher nicht.
Einer deiner Teamkollegen ist Alejandro Valverde, eine Legende des Radsports. Wenn du 5 Jahre zurückdenkst, war so etwas überhaupt nicht absehbar. Was ist das für ein Gefühl nun mit ihm in einem Team zu fahren?
Ich muss mich immer wieder daran erinnern, welches Privileg ich habe, sowohl auf mein Profileben bezogen als auch auf das Material, welches ich zur Verfügung habe und mit welchen Leuten ich umgeben bin. Klar habe ich dafür richtig hart gearbeitet und tue das nun umso härter. Es fühlt sich schon krass an, aber wenn man mit ihm zusammen ist, vergisst man schnell, mit wem man es zu tun hat, da er auch ein Mensch wie jeder andere ist. Er ist aber definitiv eine Legende und ich sehe es als etwas Besonderes an, mit ihm in einem Team fahren zu dürfen.
Er wurde jedoch früher auch des Dopings überführt. Denkst du generell, dass es möglich ist, ganz vorne mitzufahren ohne zu dopen? Es gibt ja durchaus Stimmen die meinen, dass bereits in der Jugend fleißig gedopt wird.
In Bereichen bis hoch zur U23 denke ich, dass man jedes Rennen gewinnen kann, ohne etwas zu nehmen. Jeder, der bis dahin etwas nimmt, hat den Schuss nicht gehört und versteht den Gedanken des Sports nicht. Für mich persönlich ging es bis dahin um die Liebe zum Sport, ohne Erfolgsdruck. Der Druck kam, wenn überhaupt, von mir selbst. Wenn man daran denkt zu dopen, hat man im Sport nichts zu suchen, um das mal klarzustellen. Ich finde es aber in diesem Alter umso drastischer. Später in der Elite kommt dieses Thema einfach auf, da der Erfolgsdruck, auch durch Sponsoren, viel höher ist. Auch da hat es natürlich nichts zu suchen, auch wenn es schwarze Schafe immer geben wird. Ich denke aber, dass der Sport sauberer geworden ist und hoffe guten Herzens, dass man ganz vorne auch sauber mitfahren kann.
Dann kommen wir nun zu unserer Abschlussfrage. Wenn du einen Wunsch frei hättest für die Menschheit oder den gesamten Planeten: Welcher wäre das und warum?
Als Naturfreund gehe ich in die Richtung Naturschutz. Die Zerstörung des Regenwalds, globale Erwärmung, das Bienensterben…
All das sind Themen, die oft vergessen werden. Ich würde mir wünschen, dass man es in Zukunft auf die Reihe kriegt, dass Tier und Mensch ein gesundes Miteinander pflegen und auch folgende Generationen etwas davon haben. Klar könnte man auch Weltfrieden nennen, aber was bringt das, wenn man sich eh auslöscht, weil die globale Erderwärmung zu stark wurde? Das ist ein wichtiges Thema. Glücklicherweise werden viele Leute, besonders junge Menschen, aufmerksamer für dieses Thema, auch wenn es fast zu spät ist.
Absolut richtig. Es ist nicht 5 vor Zwölf, sondern eher 5 nach Zwölf. Aber lieber jetzt mit Veränderung starten, als gar nicht.
Natürlich. Und jeder kann seinen kleinen Beitrag dazu leisten. Man kann nicht die Welt verändern, auf keinen Fall, aber man kann mit Kleinigkeiten anfangen. Wenn ich Obst kaufe, dann unverpackt. Das mag auf dem Kassenband wild aussehen, am Ende muss ich das Obst aber eh waschen. Fleisch hole ich unverpackt von der Theke. Das ist dann auch etwas Besonderes für mich. Ich bin kein Vegetarier und esse gerne Fleisch, aber möchte es bewusst konsumieren. Immerhin ist dafür ein Lebewesen gestorben.
Man kann seinen Plastikkonsum reduzieren. Es sind die kleinen Dinge, mit denen man anfangen muss. Man muss nicht gleich vegan leben und nur noch Katzenwäsche betreiben. Wenn jeder diese Kleinigkeiten umsetzen würde, dann wäre das bereits eine riesige Veränderung.
100 % Zustimmung von uns! Schön zu sehen, dass junge Menschen so demütig und reflektierend durchs Leben gehen. Wir wünschen dir, lieber Juri, alles Gute für deine weitere Karriere und werden deinen Weg weiter verfolgen.
Wir hoffen, ihr hattet Spaß beim Lesen und freuen uns, wenn ihr euch regelmäßig auf unserer Seite verirrt.
Fotos: Roth-Foto, Photo Gomez Sport
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