Er ist der einzige Deutsche, der in seiner Disziplin, dem Kanuslalom, speziell dem Canadier-Einer, 2 olympische Medaillen gewann. Sideris Tasiadis holte sich nach Silber 2012 in London nun in diesem Jahr auch Bronze in Tokio. 2016 in Rio de Janeiro war er nach Bestzeiten in Vorlauf und Halbfinale ebenfalls auf Medaillenkurs. Warum es dort leider nicht klappte mit Edelmetall, wie für ihn alles begann, welcher schwere Schicksalsschlag ihn 2015 traf und vieles mehr, lest ihr im folgenden Interview:
Hallo Sideris, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Erzähl uns doch bitte kurz, wie du groß geworden bist und wie sportlich alles für dich anfing.
Geboren und groß geworden bin ich in Augsburg. Im Alter von 5 Jahren zogen wir für 5 Jahre nach Griechenland, anschließend ging es wieder zurück nach Augsburg. Mit dem Kanuslalom habe ich mit 11 Jahren begonnen. Mein damaliger Klassenleiter und Sportlehrer hatte mich gefragt, ob ich mich in dem Sport mal ausprobieren möchte. Ihm fiel meine Beweglichkeit im Sportunterricht auf und er dachte, dass es vielleicht eine gute Grundlage für den Kanuslalom wäre. Ich probierte mich also aus und bin dabei geblieben. Es hat mir von Anfang an Spaß gemacht. Mein Sportlehrer war dann auch für 10 Jahre mein Trainer. Bis zum ersten Probetraining wusste ich gar nicht, dass es diese Sportart überhaupt gibt. Ich wollte aber etwas machen, dass nicht jeder macht. Von daher hat das gut gepasst.
Deine Eltern kommen aus Griechenland. Hast du noch Bezug in die Region? Gibt es noch viel Verwandtschaft und Freunde dort?
Verwandtschaft gibt es schon. Einige wohnen in dem Dorf, wo meine Eltern herkommen, andere in Athen. Freunde habe ich in Griechenland aber nicht. Ich habe ja dort auch nur einige Jahre als Kind gelebt.
Kommen wir nun zu deinem sportlichen Alltag. Wie sieht ein klassischer Trainingstag bei dir aus?
Um 9 Uhr beginnt die erste Trainingseinheit, aber ich muss mich vorher natürlich umziehen und aufwärmen. Dementsprechend bin ich also früher vor Ort. Ich bin dann für 60-90 Minuten auf dem Wasser, anschließend geht es in den Kraftraum. Dort mache ich dann Kraft-Ausdauerübungen oder spezielles Training für bestimmte Körperregionen. Es kommt darauf an, zu welchem Zeitpunkt das Training gerade stattfindet. Mittags fahre ich dann heim, mache 4-5 Stunden Pause und bin dann nachmittags ab 16 Uhr noch mal auf dem Wasser.
Du brauchst in deinem Sport eine gute Beweglichkeit, gerade im oberen Bereich des Körpers. Baust du auch Yoga in deine Übungen mit ein?
Also ich baue kein Yoga mit ein. Manch andere machen das, aber man darf auch nicht zu beweglich sein. Es kommt eher auf eine gute Körperspannung an. Die Schulter darf nicht zu locker sein, sonst kann man sie sich schnell auskugeln. Im Rumpfsektor muss man eher stabil sein, um eine gute Kraftübertragung vom Paddelblatt ins Wasser zu erreichen. Wenn man da zu locker ist, kann man die Kraft nicht übertragen. Man muss ein gutes Mittelmaß finden. Ich bin Fan davon, beides zu kombinieren, also eine gewisse Lockerheit in Verbindung mit der nötigen Körperspannung.
Welche Trainingsmöglichkeiten hat man denn im Winter, mal abgesehen von klassischem Krafttraining? Seid ihr im Winter auch auf dem Wasser?
Im Winter gehen wir auch aufs Wasser, bis zu einer Temperatur von -10 C °. Man zieht sich dann entsprechend etwas dicker an. Die ersten 10 bis 15 Minuten sind schon immer kalt, das muss man klipp und klar sagen. Es macht auch nicht so viel Spaß und man muss sich da etwas durchbeißen. Wenn man dann seine Ausdauereinheiten fährt, dann schwitzt man aber auch und erreicht schnell eine gewisse Grundtemperatur.
Wie war der Moment, als du 2012 Silber in London gewannst und mit welchen Erwartungen bist du dorthin gefahren?
Ich war eigentlich ein Außenseiter und keiner der Favoriten. Keiner hatte mit mir gerechnet, ich selber ja auch nicht. Ich habe meine ersten 0lympischen Spiele ganz einfach genossen und wollte einfach probieren, mein Bestes zu geben. Als ich dann Silber gewann, war es wie ein Kindheitstraum, der in Erfüllung geht. Man macht den Sport sein Leben lang, fährt zu den 0lympischen Spielen und ist dann einer von dreien, die eine Medaille mit nach Hause nehmen dürfen. Das war wie ein Traum.
Vier Jahre später, 2016 in Rio de Janeiro, lief es nicht ganz so gut. Du bist diesmal als einer der Favoriten angetreten, am Ende reichte es leider nur zu Platz 5. In Vorlauf und Halbfinale bist du jeweils Bestzeit gefahren, im Finale hat dir dann ein Fehler die Medaille versaut. Wie bitter war das für dich?
Bitter war es natürlich schon, aber die Form hat grundsätzlich gestimmt. Es war vielleicht einfach nicht mein Tag und ich konnte im Finale nicht das zeigen, was ich eigentlich kann. Ich habe daraus gelernt, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Damals war ich halt der Favorit und viele meinten „Das schaffst du locker“. Ich meinte dann nur „Sorry, aber so einfach ist das nicht. Es müssen schon viele Dinge zusammenspielen, dass ich das erreiche, was ihr von mir verlangt“. Ich war halt eher damit beschäftigt, die Leute auf den Boden zu bringen, als mich selbst auf den Wettkampf zu konzentrieren. Daraus habe ich gelernt und mache die Dinge nun so, wie ich sie mir vorstelle.
Hat es dich auch ein Stück weit abgelenkt, dass diese hohen Erwartungen an dich gestellt wurden?
Ja, schon. Man muss schon sagen, dass es vom Wesentlichen ablenkt. Du wirst täglich damit konfrontiert. Jeder Pressevertreter erzählt dir, dass alles so locker und easy wäre. Nein, so ist es einfach nicht. Klar, die anderen Medaillengewinner von London waren nicht am Start, deshalb war für alle klar, dass nur ich Gold gewinnen kann. Das lenkt schon ab von der eigentlichen Aufgabe.
Zumal der Rest der Teilnehmer ja keine Hobbykanuten sind!
Genau.
Du hast 2021 in Tokio Bronze gewonnen und bist damit der erste Deutsche, der zwei olympische Medaillen in dieser Disziplin gewann. Hat das eine besondere Bedeutung für dich?
Ja doch, das muss ich schon sagen. Ich bin ja auch mit dem Wissen angereist, dass es vielleicht meine letzten 0lympischen Spiele sein könnten. Das kommt darauf an, wie mein Körper die nächsten Jahre mitmacht. Ich fuhr nach Tokio und habe die Aufgabe angenommen, habe mein Bestes gegeben und versucht, mich nicht von außen beeinflussen zu lassen, sei es durch den Verband oder die Presse. Ich habe aber auch klipp und klar gesagt, wenn es jemand besser kann, dann soll er es mir zeigen. Somit habe ich den Spieß gegenüber den Kritikern umgedreht, die ja teilweise der Meinung waren, es sei so einfach. Ich hatte einen Plan im Kopf, fuhr nach Tokio, wollte einfach mein Ding durchziehen und am Ende schauen, was dabei herauskommt und ob es für eine Medaille reicht oder nicht.
Beim Kanuslalom müsst ihr unglaublich fokussiert und hellwach sein. Aber wie weit schaust du voraus? Geht dein Blick nur bis zum nächsten Tor oder bist du im Kopf schon drei Tore weiter?
Mittlerweile schaue ich von Tor zu Tor. Früher habe ich weiter vorausgeschaut, aber ich habe gemerkt, dass man sich so besser konzentriert, auf der Ideallinie zu bleiben. Wenn man zu weit vorausdenkt, dann passieren schon mal Fehler am aktuellen Tor, an dem du dich gerade befindest. Das war mal ein Problem von mir, dass ich gedanklich schon viel weiter war als der Punkt, an dem ich mich gerade befand.
Die mentale Ebene ist also nicht zu unterschätzen. Beim Deutschen Kanuverband arbeitet ihr auch mit Sportpsychologen zusammen. Wie wichtig ist dieser Aspekt in diesem Sport?
Ich mache das mittlerweile nicht mehr und halte mich für relativ ausgeglichen. Mit den Jahren sammelt man seine Erfahrungen, so dass selbst der Sportpsychologe der Meinung war, er könne mir nichts mehr beibringen. Meine Einstellung ist gelassen, aber sehr fokussiert. Man muss ein gewisses Mittelmaß finden und der Spaß darf nicht zu kurz kommen. Auch bei großen Wettkämpfen, wo ein hoher Druck herrscht, probiert man locker an die Sache ranzugehen.
2015 hat dich ein schwerer Schicksalsschlag ereilt. Deine damalige Freundin ist an Leukämie verstorben. Inwiefern hat dich das als Mensch und Sportler geprägt und verändert?
Wenn man so etwas mitmacht, dann lernt man fürs Leben, was wichtig und unwichtig ist.
Gerade durch deinen persönlichen Bezug: Wie wichtig sind das Thema Aufklärung und die Arbeit der DKMS?
Die DKMS ist eine wichtige Institution. Meine jetzige Freundin und ich sind auch als Spender registriert. Das ist ein sehr wichtiger Part, da sonst viele Menschen nicht überleben würden.
Du bist in der Sportfördergruppe der bayrischen Landespolizei. Gibt es schon Pläne für die Zeit nach der Karriere und in welche Richtung soll es gehen bei der Landespolizei?
Ich bin dort seit 2012, weil ich neben der sportlichen Karriere auch eine Ausbildung machen wollte. Ich wollte nicht nebenher halbherzig studieren, aber auch nach Karriereende oder nach schwerer Verletzung nicht ohne Job dastehen. Ich bin nun in einer Situation, dass ich bereits nächsten Monat anfangen könnte zu arbeiten. In welchem speziellen Bereich ich später mal einsteige, weiß ich aber noch nicht. Es gibt aber zig Möglichkeiten, die ich nicht alle aufzählen kann. Ich könnte klassisch Streife fahren, Kriminalkommissar werden, bei der Hubschrauberstaffel einsteigen, aber auch Ausbilder werden und noch vieles mehr. Ich mache mir aber erst Gedanken nach der Karriere. Ich habe dann ja schon noch einen gewissen Zeitraum, mich zu entscheiden. Letztendlich muss ich mich auch auf alle Stellen intern bewerben und dann hoffen, dass ich genommen werde.
Momentan bist du aber noch aktiv und wir wollen dich natürlich alle noch in Paris 2024 am Start sehen. Aber wäre denn später auch eine Trainerkarriere denkbar?
Bisher nicht, ganz einfach, weil du dann sehr viel unterwegs bist. Ich habe das ja seit über 20 Jahren und irgendwann ist auch mal gut. Wenn ich später eine eigene Familie habe, dann möchte ich zu Hause sein und nicht viele Monate pro Jahr um die Welt reisen. Das wäre nichts für mich.
Das klingt nachvollziehbar. Irgendwann möchte man mal ankommen.
Genau. Nur auf Achse zu sein, geht einem auch manchmal auf die Nerven. Du musst dich auch mit deinem Umfeld, allen Sportlern und Betreuern verstehen. Du teilst dir ein Zimmer, du bist 24 Stunden zusammen. Es kommt der Moment, wo man sagt, „Ich brauche das nicht mehr“.
Dann kommt jetzt auch für dich unsere Abschlussfrage. Wenn du einen Wunsch frei hättest für die Menschheit oder den gesamten Planeten: Welcher wäre das und warum?
(lacht) Whoa, die ist gut.
Was ich schon länger sage: Man sollte mehr zusammenhalten. Es sollte mehr Miteinander in der Menschheit geben.
Vielen Dank, Sideris, für dieses sehr sympathische und bodenständige Interview. Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft. Und dir, geneigter Leser, hat es hoffentlich gefallen diese Zeilen zu lesen. Wenn dem so ist, dann gib uns gerne ein bisschen Liebe und Feedback. Bis zum nächsten Interview…
Fotos: Philipp Reichenbach
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