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  • Alex

Jonas Reckermann: "Wir wussten, dass wir jedes andere Team schlagen können."

Heute widmen wir uns, passend zur Jahreszeit, einer klassischen

Sommersportart: Dem Beachvolleyball. Unser Interviewgast ist kein geringerer

als Jonas Reckermann, eine deutsche Legende in dieser Sportart. Im folgenden

Interview geht es um intime Einblicke aus dem Olympiafinale, soziales

Engagement und vieles mehr. Viel Spaß beim Lesen!



Jonas, du bist ehemaliger, sehr erfolgreicher Beachvolleyballer und warst 4-

facher Europameister, 5-facher deutscher Meister und einmal Weltmeister.

Dein größter Erfolg war aber der Olympiasieg 2012 in London. Wie geht es dir

heute und was machst du aktuell?


Es geht mir gut, auch wenn ich gerade vom Physiotherapeuten komme, wo ich

meinen Rücken pflegen lasse. Das ist aber nichts Dramatisches. (schmunzelt)

Ansonsten bin ich mittlerweile Lehrer an einem Gymnasium in Leverkusen. Ich

hatte nach dem Abitur angefangen, Sport und Geographie auf Lehramt zu

studieren. Das hat sich durch den Profisport natürlich etwas in die Länge

gezogen. Ich bin hauptberuflich an einer Eliteschule des Sports (Anm. d. Red.:

Landrat-Lucas-Gymnasium) angestellt und bin dort als Sport-, Erdkunde- und

Athletiktrainer tätig und werde ausschließlich in den Sportklassen eingesetzt.

Ich kümmere mich auch darum, dass die Leistungssportler von morgen Schule

und Sport vereinbaren können. Das macht mir sehr viel Spaß.

Nebenbei halte ich Vorträge für Unternehmen und kommentiere bei Großveranstaltungen für TV-Sender. Bei Olympia in Tokio werde ich Beachvolleyball mitkommentieren. Das ist eine schöne Abwechslung, aber das

Hauptaugenmerk liegt auf der Schule.


Bei Wikipedia ist vermerkt, dass du auch Mathematik unterrichtest.


So genau steht das bei Wikipedia? Das ist ja stark!

Ich habe Mathematik tatsächlich bis zum Grundstudium studiert, aber als es

dann mit dem Leistungssport zu viel wurde, habe ich mich auf zwei Fächer

konzentriert.


Wie bist du eigentlich auf diese Fächer gekommen? Sport ist sehr

naheliegend, aber hat dich Geographie auch schon immer interessiert?


Ich gebe zu, dass meine Eltern auch beide Lehrer sind. Mein Vater unterrichtet

auch Sport und Geographie und ich würde lügen, wenn ich sage, dass es mich

nicht beeinflusst hat. Ich hatte aber auch frühzeitig Interesse für unsere Erde,

die Natur und globale Zusammenhänge. Deshalb war es sehr naheliegend

zusätzlich Geographie zu wählen.


Wie beliebt bist du bei deinen Schülern und wie oft musst du vom

Olympiasieg erzählen?


Was die Beliebtheit angeht müsst ihr die Schüler fragen, aber ich glaube das ist

ganz ok soweit. (schmunzelt)

Der Olympiasieg ist immer mal Thema, es gibt auch zwei Schulbücher, wo das

auftaucht: Im Musikbuch witzigerweise, da geht es um singen und Hymnen, ist

ein Foto von Julius (Brink) und mir drin und im Geschichtsbuch gibt es einen

Artikel über Olympia. Klar fragen einen die Schüler mal danach, aber es ist kein

riesen Thema. Wir haben ein angeschlossenes Internat, welches übrigens von

Steffi Nerius (Anm. d. Red.: Ehemalige Speerwerferin, u.a. Weltmeisterin und

Olympiazweite) geleitet wird. Klar kann man sich dort eher über Themen

austauschen, die vielleicht nicht zum Lehrplan gehören. Es kann für junge

Menschen, denen eine Profikarriere bevorsteht, durchaus bereichernd sein über

solche Momente zu sprechen, mit jemandem, der so etwas schon mal miterlebt

hat.


Back to the roots: Wie bist du groß geworden und wie würdest du deine

Kindheit beschreiben?


Ich bin in Rheine im Münsterland groß geworden und hatte eine ganz schöne

Kindheit. Sportlich habe ich, wenn man Mutter-Kind-Turnen mal außen vor

lässt, mit Fußball und sehr bald auch Leichtathletik begonnen und beides

parallel betrieben. Irgendwann wurde Fußball durch Volleyball ersetzt und als

ich merkte, dass zwei Sportarten zu viel sind, habe ich mich ganz dem Volleyball

verschrieben, zunächst Hallenvolleyball und mit ungefähr 20 Jahren dann

professionell auf Beachvolleyball konzentriert.

Mein Vater war sicherlich ein großer Förderer, wir wurden sportlich sehr

vielseitig sozialisiert, angefangen mit „Speckbrett“ in der Einfahrt, eine Art

Tennis mit Holzschlägern, über Tennis und Fußball im Garten, Tischtennis,

Surfen, uns wurde jonglieren beigebracht, ich kann Einrad fahren…

Ich glaube, die treibende Kraft hinter all dem war mein Vater. Er war halt selber

Sportlehrer und leitete eine Zirkus-AG. Über meinen Bruder kam ich dann zum

Volleyball. Ich war immer sehr aktiv und verlebte eine sportliche Kindheit.


Wow, das klingt nach einer sehr sportlichen Familie!


Ja, einer meiner Brüder hat Volleyball bis zur 2. Liga gespielt, mein kleinerer

Bruder spielte Handball. Sportvereine waren immer ein wichtiger Faktor für uns.


Auf deiner gemeinsamen Internetseite mit Julius Brink hast du in deiner Vita

vermerkt, dass du auch mal Handball gespielt hast, genau eine Woche lang.

Das war dann wohl nicht dein Sport.


(lacht) Das will ich so gar nicht sagen, aber es war einfach zu viel. Handball ist

ein super Sport und ich hätte es gerne leistungsorientiert gespielt, aber es wäre

zeitlich einfach nicht machbar gewesen. Ich habe es an der Uni kennengelernt

und es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Als Leichtathlet war ich Hochspringer

und Speerwerfer, später kam dann Volleyball dazu. Man kann erahnen, dass mir

Handball einigermaßen lag und ich wollte es mir einfach mal angucken. Eine

Woche hat aber eben nur 7 Tage und zu dem Zeitpunkt betrieb ich ja

Leichtathletik und Volleyball schon leistungsorientiert. Eine dritte Sportart

passte zeitlich einfach nicht mehr rein.


Du hast mit Volleyball, wie wohl die meisten, in der der Halle begonnen. Wie

kam dann bei dir der Wechsel in den Sand zu Stande?


Früher gab es im Sommer noch viele Rasenturniere, unter anderem in Rheine,

wo ich ja herkomme. Es war eines der größten Rasenturniere Europas. Nebenbei

spielte man zum Spaß ein bisschen Beachvolleyball. Ich war aber eigentlich auf

Hallenvolleyball fixiert. Mit 19, 20 Jahren spielte ich in der 1. Bundesliga in

Wuppertal. Ein Spieler aus dem Sand, David Klemperer, der ja später auch eine

sehr erfolgreiche Karriere hatte, sprach mich an, ob ich mit ihm die U 23-EM im

Beachvolleyball spielen möchte. Wir kannten uns gar nicht. Er ging einfach die

Listen der Hallenspieler durch und schaute, wer groß und jung ist. Er ist etwas

kleiner und war eher der Abwehrspieler, ich der Blockspieler. Wir probierten es

zusammen und wurden auf Anhieb U 23 Europameister. Da merkte ich zum

ersten Mal, dass mir diese Sportart wohl sehr gut liegt. Später fragte mich dann

Markus Dieckmann, ob ich meine Karriere komplett in den Sand verlegen

möchte, um sein Partner zu werden. Das war eine sehr schwierige

Entscheidung, denn ich fühlte mich eher als Hallensportler und

Mannschaftsspieler. Ich habe lange überlegt, denn es war klar, dass beides

nicht mehr geht. Letztlich gab Olympia den Ausschlag, denn es war immer mein

Traum dort teilzunehmen. Schon als Kind verfolgte ich alle Sportarten. Zu der

Zeit hatte sich die Hallennationalmannschaft schon lange nicht mehr für

Olympia qualifiziert und ich war auch kein Nationalspieler. Ich sah meine

Chancen im Beachvolleyball einfach höher, das war der entscheidende Faktor.

Wäre es schief gegangen, hätte es auch durchaus ein Zurück gegeben, aber

erstmal war klar, dass ich auf die 1. Liga verzichte und mit Markus Dieckmann

meine ersten Profierfahrungen im Beachvolleyball sammle, direkt auf der World

Tour.


Was beim Beachvolleyball auffällt sind relativ häufige Partnerwechsel, auch

wenn man erfolgreich zusammenspielt. Woran liegt das? Passt es dann

einfach menschlich nicht mehr?


Es sind zwei Sachen: Jeder möchte natürlich erfolgreich sein. Man kann

natürlich leichter einen Partner austauschen, als eine ganze Mannschaft. Dazu

hat es jeder selbst in der Hand. Das erklärt, warum die Fluktuation relativ hoch

ist, wobei ein Hallenspieler wahrscheinlich mehr Vereine hat, als ein

Beachvolleyballer Spielpartner. Das ist die sportliche Seite.

Wenn man das Gefühl hat, mit einem anderen Spieler seine Ziele schneller zu

erreichen, dann wechselt man nach der Saison halt seinen Partner. Man fragt

an, guckt ob es zusammen passt und orientiert sich neu. So ist das Geschäft.

Oberste Prämisse ist der Erfolg. Es ist aber auch nicht so, dass man mit einem

neuen Partner sofort Erfolg hat. Man muss sich erst aneinander gewöhnen und

zusammen einspielen, das dauert seine Zeit. Deshalb macht es schon Sinn,

etwas längerfristig zu denken. Noch dazu beginnt man bereits 2 Jahre vor den

nächsten olympischen Spielen Punkte für die Qualifikation zu sammeln. Deshalb

sollte man ab diesem Zeitpunkt festgelegt sein. Wechselt man dennoch, verliert

man seine bereits gesammelten Punkte.

Die andere Seite hast du schon angesprochen. Es muss auch menschlich passen.

Man sucht natürlich nicht die große Liebe, sondern versucht möglichst

erfolgreich zu sein. Trotzdem ist man ungefähr 200 Tage pro Jahr gemeinsam

unterwegs. Man sieht seinen Spielpartner definitiv mehr, als den Lebenspartner.

Und gerade, weil man zu zweit unterwegs ist, bewegt man sich natürlich auch

auf einer sehr intensiven Beziehungs- und Arbeitsebene. Es ist nicht wie beim

Fußball, dass ich Einzelpersonen aus dem Weg gehen, aber gleichzeitig noch 20

andere habe, mit denen ich mich beschäftigen kann. Dazu kommen mitunter

hohe Drucksituationen im Spiel. Kriegt der Gegner das mit, bekommt dieser

Spieler jeden Ball. Es gibt also jede Menge Möglichkeiten unter Stress zu

geraten. Wenn dieser Stress sowohl im Sportlichen, als auch

zwischenmenschlich zu groß wird, dann ist es sehr verlockend zu sagen: „Wir

lassen das“. Im Beachvolleyball gibt es Partnerschaften von „allerbeste

Freunde“ über „Wir hassen uns und uns verbindet nur die Aussicht auf

sportlichen Erfolg“, aber auch echte Liebespaare. Das alles erklärt vielleicht,

warum öfter Partnerwechsel stattfinden, die nicht nur sportlich zu begründen

sind. Bei mir waren es aber immer sportliche Gründe. Mein erster Partner

Markus Dieckmann hat seine Karriere beendet, mit Mischa Urbatzka war ich

durchaus erfolgreich, aber wenn du dann die Chance bekommst, mit Julius Brink

zusammenzuspielen, der damals der beste deutsche Abwehrspieler war und du

selber weißt, dass du in deiner Karriere wohl nur noch eine Chance hast bei

Olympia erfolgreich zu sein, dann ergreift man die natürlich. Man will halt

sportlichen Erfolg haben und ohne Mischa zu nahe treten zu wollen, aber ich

wäre mit ihm wohl nicht Olympiasieger geworden.


Du hast gerade London 2012 angesprochen. Wie habt ihr ins Turnier

gefunden?


Wir hatten in diesem Jahr Probleme gesundheitlicher Art. Ich hatte sowohl

Rücken- als auch massive Schulterprobleme. Das hinderte uns an einer

normalen Vorbereitung. Wir haben nur wenige Turniere im Vorfeld gespielt und

die auch nicht besonders erfolgreich. Das letzte Turnier vor Olympia in

Klagenfurt war für uns ein besonderes, denn wir waren das erste Mal in diesem

Jahr auf einem sehr guten Leistungslevel. Wir wussten, wir können jedes andere

Team schlagen. Wir wurden nur 5. bei diesem Turnier, aber sind in einem sehr

hochklassigen Viertelfinale ausgeschieden. Das hat uns schon Selbstbewusstsein

gegeben für London, was wir auch brauchten. Dort kamen wir dann auch sehr

gut ins Turnier. Wir hatten einen guten Mix aus Spannung und Entspannung,

was bei diesem sehr langen Turnier wichtig war. Normal geht ein Turnier über

vier Tage, dort waren es zwölf. Wir hatten auch nicht drei Spiele am Tag,

sondern nur eines alle zwei Tage. Es ist uns gut gelungen, uns darauf

einzustellen und meiner Schulter tat es auch gut, sich immer wieder erholen zu

können. Wir kamen in einen Flow, wurden immer selbstbewusster und konnten

unsere Spiele recht souverän gestalten.


Und dann kam der große Tag, das Finale. Erzähl mal, wie das für dich war.

Wie hast du es wahrgenommen, besonders die Atmosphäre vor 15.000

Zuschauern?


Der Tag war natürlich in keinster Weise normal, wenn man so kurz vor einem

olympischen Finale steht. (schmunzelt)

Dazu kam ein besonderer Umstand: Meine Frau war zu dem Zeitpunkt

hochschwanger und hatte eine Lebensmittelvergiftung. In der Nacht vor dem

Finale war sie auch im Krankenhaus deswegen. Sie hat sich vor dem Finale

selbst entlassen und war vor Ort. Einer unserer Physiotherapeuten war die

ganze Zeit bei ihr und hatte mir auch versprochen, dass er auf sie aufpasst und

sie nach draußen bringt, falls es ihr nicht gut geht. Ich erzähle es deshalb, weil

es, so bitter es war, einen positiven Effekt auf mich hatte. Ich hatte keine

Chance nervös oder zu aufgeregt zu werden vor dem Finale. Wenn die Frau

hochschwanger ist und dann auch noch so etwas passiert, dann ist man

natürlich mit den Gedanken bei der Familie und nicht beim Sport. Deswegen

war es eigentlich eine ganz gute Ablenkung, auch wenn ich uns so etwas nicht

nochmal wünschen würde. (schmunzelt)

Ab dem Moment, wo ich wusste, dass sie aus dem Krankenhaus raus ist und es

ihr einigermaßen gut geht, konnte ich mich wieder voll auf dieses Spiel

einlassen und fokussieren. Julius war eh sehr gut auf das Wesentliche fokussiert,

so dass wir uns wirklich auf die spielerischen und taktischen Dinge

konzentrieren konnten. Auch an die Kulisse konnten wir uns vorher gewöhnen,

denn in London war jedes Spiel ausverkauft.

Es war sicher nicht unser bestes Spiel des Turniers, das ist aber bei so großen

Turnieren auch eher selten der Fall und war bei unseren Gegnern (Anm. d. Red.:

Alison Cerutti/Emanuel Rego aus Brasilien) ähnlich. Es war kein schlechtes Spiel,

aber es wurde dadurch natürlich eng. Für viele waren wir der Außenseiter

gegen die amtierenden Weltmeister. Emanuel ist eine Legende und der beste

und erfolgreichste Beachvolleyballer aller Zeiten. Wir haben aber an uns

geglaubt und wussten, dass wir durchaus eine Chance haben. Es ist sehr

spannend geworden, am Ende spannender als uns lieb war. Wir haben im 3.

Satz 14:11 geführt und hatten drei Matchbälle. Eigentlich bedeutet das zu 90 %

auch den Sieg. In dem Moment haben wir uns ein bisschen dämlich angestellt

und haben sie auf 14:14 herankommen lassen. Viele dachten, das Spiel würde

kippen und der Vorteil liegt nun bei den Brasilianern. Wir haben es dann aber

mit ein bisschen Glück – der letzte Angriff der Brasilianer war nur ganz knapp im

Aus – nach Hause geschaukelt.


Du hast es eben angesprochen, ihr hattet bei 14:11 bereits 3 Matchbälle und

habt es dann nochmal unnötig spannend gemacht. Wie ging es euch denn in

dem Moment, als auf einmal Gleichstand herrschte? Habt ihr selber auch

gedacht, das Spiel würde nun kippen, oder habt ihr immer fest an euch

geglaubt?


Von beidem ein bisschen. Wir haben den Vorsprung ja leider selten dämlich

hergegeben. Es war ja nicht so, dass der Gegner unmenschliche Aufschläge

fabriziert hat. Wir hatten bei 14:11 bei eigenem Aufschlag die Möglichkeit den

entscheidenden Punkt zu machen. Dann war eine schlechte Annahme dabei und

der Punkt zum 14:14 war ein Ass in die Mitte durch einen Aufschlag, der nicht

mal hart war. Viel dämlicher kann man so einen Vorsprung nicht hergeben.

Natürlich macht das etwas mit einem. Unsere große Stärke war immer die

Fokussierung und dass wir uns durch nichts haben aus der Ruhe bringen lassen.

Das war in diesem Moment nur eingeschränkt der Fall. Ich merkte, wie Julius

etwas den Kopf hängen lies und ich ging zu ihm hin. Ich weiß nicht mehr genau,

was ich ihm sagte, aber in etwa „Scheiß‘ drauf, wir machen jetzt den Punkt und

dann haben wir wieder Matchball“. Natürlich war auch ich nicht ganz gelassen.

Wenn man so kurz davor ist und man dann merkt, dass einem das Spiel

entgleitet, dann kann man noch so sehr geübt haben, leistungsorientiert zu

denken. Natürlich ist das in deinem Kopf, zumal wir eine ähnliche Situation ein

paar Monate zuvor gegen genau dieses Team hatten, in einem Halbfinale bei

einem Grand Slam-Turnier. Auch dort führten wir 14:11 und verloren am Ende

14:16. Das wusste unser Gegner natürlich auch. Was das Selbstbewusstsein

angeht, hätte die Differenz in diesem Moment wohl kaum größer sein können.

Es war klar, dass wir unbedingt den nächsten Punkt zum 15:14 brauchen, denn

ansonsten würde es wohl endgültig kippen. Also hieß es: „Augen zu und durch“.

Ich nahm mir vor, den nächsten Angriffsschlag möglichst früh zu treffen, damit

der Blockspieler vielleicht noch nicht bereit ist und überrascht wird. Das hat

ganz gut geklappt. Beim nächsten Punkt haben uns die Brasilianer ja dann

geholfen, indem sie ihren Angriff knapp ins Aus schlugen. Aber es war schon

eine heikle Situation.


Der Ball war knapp im Aus, das Spiel war entschieden. Im ersten Moment sah

es so aus, als ob ihr gar nicht so richtig wusstet, ob es euer Punkt war und ihr

jetzt gewonnen habt. Wie war dann dieser Moment, als ihr es realisiert habt?


(lacht) Also ganz sicher waren wir in der Tat nicht. Wir haben so getan als

wären wir sicher. Wir fingen an zu jubeln und der 2. Schiedsrichter hat auch

direkt angezeigt, dass der Ball im Aus war. Im Nachhinein, und da gebe ich den

Brasilianern Recht, hätte der 1. Schiedsrichter von seinem Stuhl kommen und

den Abdruck überprüfen müssen. Diese Möglichkeit hat er, so wie auch

Schiedsrichter im Tennis. Es war ihm in dem Moment vielleicht einfach zu heikel

und er vertraute dem 2. Schiedsrichter. Es gibt aber im Beachvolleyball

durchaus Bälle, die man unterschiedlich bewerten kann. Es spritzt vielleicht ein

bisschen Sand auf die Linie und man kann dann nicht zu 100% bestimmen, ob

der Ball nun gut oder eben im Aus war. Ich glaube, so ein Ball war das. Man sah

es auch an der Reaktion der Brasilianer. Die haben sich zwar beschwert, aber

sind auch nicht ausgerastet als wären sie gerade komplett betrogen worden.

Vielleicht war es so gesehen sogar gut für den 1. Schiri, dass er eben nicht von

seinem Stuhl gekommen ist, denn dann hätte er vor genau diesem Dilemma

gestanden, diesen Ball bewerten zu müssen. Heutzutage gibt es das Hawk-Eye,

damit wäre es dann eindeutig gewesen. Vielleicht wurde es auch in Folge

dessen eingeführt.


Kommen wir mal zum Beachvolleyball heute. Wie ist aktuell der Stand und wo gibt es in deinen Augen noch Verbesserungspotential?


Verbessern kann man immer. Es gibt immer neue Entwicklungen, sei es beim

Material. Wir hatten damals zum Beispiel einen neuen Ball bekommen, der aus

anderem Material bestand, wodurch er andere Flugeigenschaften besaß, was

wiederum eine Veränderung der Technik zur Folge hatte. Das sind die externen

Dinge.

Was man der Sportart konstatieren kann, ist dass die Sportart ein Stück weit

athletischer geworden ist. Die guten kleinen Spieler, haben schon noch eine

Chance mitzuspielen, aber man erkennt schon eine Tendenz hin zu sehr großen

Blockspielern, die eine sehr große Athletik mitbringen. Dieser Trend ist

wahrscheinlich auch noch nicht abgeschlossen.


Eine Organisation, für die du dich einsetzt, ist die „Werte-Stiftung“, wo du

Vorstandsvorsitzender bist. Warum hast du dich dafür entschieden und was

macht ihr genau?


Ich wurde damals angesprochen, ob ich diesen Posten übernehmen möchte. Zu

sagen, dass ich auf der Suche nach einer ehrenamtlichen Tätigkeit war, ist

vielleicht übertrieben, aber ich engagiere mich schon ganz gerne in Bereichen

wo ich denke, ich kann mich einbringen und etwas bewirken. Das passte damals

ganz gut, denn es gibt unter anderem ein großes Projekt zusammen mit der

deutschen Sporthilfe. Die Mitglieder der Stiftung kommen eher aus dem

wirtschaftlichen Bereich, aber mit Bezug zum Sport. Es gibt ein gemeinsames

Programm mit der deutschen Sporthilfe, wo ehemalige oder aktive Sportler mit

einem Mentor aus der Wirtschaft verbunden werden. Es geht zum Beispiel um

das Vermitteln von Praktika oder einfach darum, beratend zur Seite zu stehen.

Das Netzwerk ist groß und wir haben über 100 solcher Paare. Es ist natürlich

ständig in Bewegung, denn von beiden Seiten stoßen stetig neue Leute hinzu.

Das ist ein Projekt. Wir haben aber auch den Bau eines Kinderhospizes

unterstützt und begleitet. Es ist eine Stiftung mit wirtschaftlichem Bezug,

allerdings mit Schwerpunkt im Bereich der Sportwelt und da wiederum mit

Fokus auf die olympischen Sportarten. Dahingehend ist die deutsche Sporthilfe

unser Hauptansprechpartner.


Dann kommen wir nun zu unserer Abschlussfrage: Wenn du einen Wunsch

frei hättest für die Menschheit oder den gesamten Planeten – Welcher wäre

das und warum?


Es ist natürlich ein großer Wunsch, der viele kleine beinhaltet. Ich wünsche mir,

dass sich die Menschen auf der Erde über die Verantwortung für unseren

Planeten bewusst werden. Das beschreibt zum einen den gemeinsamen Kampf

gegen den Klimawandel, zu schauen, dass die Generationen nach uns hier auf

der Erde noch gut leben können. Ich glaube man würde einen großen Schritt

weiterkommen, wenn sich jeder Einzelne dieser Verantwortung bewusst wird.

Zum anderen geht es um die Verantwortung im sozialen Bereich. Ich glaube,

dass diese Tendenzen, welche gerade erkennbar sind, der zunehmende

Protektionismus und Abgrenzung zwischen Ländern, aber auch innerhalb der

Länder, kein Einzelfall sind. Wenn man sich der Verantwortung des

Miteinanders und der Vermeidung von Kriegen bewusst wird, dann würden wir

schon jetzt in einer lebenswerteren Welt, aber auch in Zukunft auf einer

weiterhin lebenswerteren Erde leben. Es gibt auch aktuell leider viel zu viele

Konflikte. All das würde ich unter den Mantel der Verantwortung für unsere

Erde packen. Ich weiß aber auch, dass es ein sehr großer Wunsch ist.


Aber ein durchaus nachvollziehbarer! Vielen Dank, lieber Jonas, für diese

interessanten Einblicke und das sympathische Gespräch.

Jonas Reckermann Beachvolleyball Alanya Olympiasieger

Eine kleine private Anekdote am Rande: 2003 traf ich Jonas am Strand von

Alanya bei der aktuell laufenden EM im Beachvolleyball. Er war sofort zu einem

Foto bereit. Sein Markenzeichen war damals eine umgedrehte türkisblaue Cap

seines Sponsors. Ich fragte ihn höflich, ob ich solch eine Mütze mit Autogramm

haben könnte, aber er hatte leider keine dabei und vertröstete mich auf den

nächsten Tag. „Klar“, dachte ich und ging nicht davon aus, dass ich wirklich

noch zu meiner Autogrammmütze komme. Was soll ich sagen: Wir trafen Jonas

am nächsten Tag eher zufällig wieder und er hatte tatsächlich eine Mütze

dabei, welche zusätzlich auch Markus Dieckmann unterschrieb. Jonas ging extra

zu ihm hin, denn er stand etwas abseits und machte sich warm. Meine Freude

war riesig und Jonas stieg in seinem Ansehen bei mir nochmal ein gutes Stück.

Mein Lieblingsspieler war er eh schon. Danke nochmal, Jonas!

Wenn euch dieses Interview gefallen hat, dann schaut doch weiterhin

regelmäßig hier rein, gebt uns Feedback, empfehlt uns weiter und schenkt uns

etwas Liebe. Bis bald…


Fotos: Leon Sinowenka, privat

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