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  • Alex

Betty Heidler: "Der Weltrekord kam sehr überraschend. Umso schöner war es."

Im heutigen Interview ist eine ehemalige Sportlerin zu Gast, der ich früher auch persönlich gerne die Daumen drückte. Ex-Hammerwerferin Betty Heidler. In den folgenden Zeilen erfahrt ihr, wie Betty als Kind an den Essenstisch beordert wurde, wie lebenswert Marzahn eigentlich ist und dass Wut mitunter auch hilfreich sein kann. Außerdem spricht sie mit uns über ihr Leben nach dem Sport, brenzlige Einsätze als Polizistin und ihren Berufswunsch als kleines Mädchen. Aber lest selbst:


Betty, dein Karriereende kam 2016. Wie geht es dir und was ist seitdem geschehen?


Mir geht es sehr gut. Ich vermisse den Leistungssport nicht, weil ich eine Menge anderer Sachen zu tun habe. Außerdem war das Karriereende ja geplant und vorbereitet. Die Zeit seitdem habe ich genutzt, um mein Jurastudium zu beenden. Dieses hatte ich 2008 nach der Ausbildung bei der Bundespolizei begonnen und habe im Herbst 2020 das erste Staatsexamen bestanden. Es war eine sehr intensive Zeit, durch Corona hat sich alles etwas nach hinten verschoben. Während der aktiven Karriere konnte ich natürlich nicht Vollzeit studieren und so gab es eine Phase, in der ich viel nachholen musste. Gleichzeitig habe ich aber versucht, alles was noch war, so schnell wie möglich durchzuziehen, was auch gut geklappt hat. Mit diesem Staatsexamen habe ich mich bei meinem Arbeitgeber, der Bundespolizei, für den höheren Dienst beworben. Das ist dann nochmal ein Masterstudiengang, welchen ich im Oktober 2020 begann. Ich bin also gerade mittendrin.


Und wie geht es danach für dich weiter?


Das weiß ich tatsächlich noch nicht. Ich bin dann Polizeirätin, so lautet die offizielle Amtsbezeichnung. Damit gibt es dann viele Möglichkeiten, beispielsweise die Leitung einer Dienststelle. Man kann aber auch in die Richtung Bundespolizeipräsidium gehen, man kann ausbilden, man kann aber auch ins BMI (Anm. d. Red.: Bundesministerium des Innern) wechseln. Ungefähr ein halbes Jahr vor Ende des Studiengangs finden dann Gespräche statt, in denen man schaut, in welche Richtung es gehen kann, und wo aktuell Bedarf ist.


Und wo findet das alles statt? Lebst du mittlerweile wieder in Berlin?


Also, ich lebe nordöstlich von Berlin. In der Zeit des Leistungssports war ich ja in Frankfurt/M. beheimatet, bin aber danach wieder zurückgegangen. Das Studium selbst ist in Zusammenarbeit mit dem BKA, deshalb gibt es einzelne Elemente der Ausbildung in Münster an der deutschen Polizeihochschule, bei der Bundespolizeiakademie in Lübeck und jetzt aktuell beim BKA in Wiesbaden. Es ist eine Mischung aus Präsenz- und Onlineunterricht.

Betty Heidler Kanu Kajak Wald
Auch nach der Karriere noch sportlich aktiv: Betty Heidler


Kommen wir zu deinen sportlichen Anfängen. Wurdest du auch allgemein ausgebildet oder bist du direkt in Richtung Hammerwurf gegangen?


Bei mir war es so, dass ich auf den Sportplatz gegangen bin und ich nicht wusste, was ich genau machen wollte, nur dass ich etwas machen wollte. Ich wurde dann in eine Gruppe gesteckt, die schon breit aufgestellt war, also alles gemacht hat, aber den Schwerpunkt schon in Richtung Wurfdisziplinen gelegt hatte. Das war auch gut so, eine Grundausbildung in allen Bereichen zu bekommen. Es war aber damals schon so, dass mir die Wurfdisziplinen am meisten Spaß gemacht haben und ganz besonders das Hammerwerfen. Ich war zu diesem Zeitpunkt aber noch weit davon entfernt zu sagen, ich möchte Hammerwerfen als Leistungssport betreiben.


Und wie alt warst du, als du mit Sport begonnen hast?


Mit 14, also ziemlich spät.


Bist du direkt zu einem Verein und hast gesagt: „Hallo, hier bin ich“?


Ja, genau. Meine damals beste Freundin ist irgendwie zum Gehen gekommen. Sie war immer beim Training und ich war allein zu Haus, also ging ich einfach mal mit. Der Verein hieß 1. VfL Fortuna Marzahn und ich habe mich einfach dort vorgestellt. Also, wurde ich in besagte Trainingsgruppe gesteckt und legte los.


Und dann kamen auch schnell die ersten Berührungspunkte mit dem Hammerwerfen?


Genau. Von fünf Trainingseinheiten waren drei mit Wurfdisziplinen und nur zwei allgemeinerer Art. Ich habe alles gemacht, beim Speerwerfen hat sich aber relativ schnell herauskristallisiert, dass mir das nötige Talent fehlt. Kugelstoßen ging noch ganz gut, für den Diskuswurf war ich zu klein, aber es machte mir Spaß. Hammerwerfen gefiel mir aber mit Abstand am besten, weil man koordinativ gefordert ist, es auf Schnelligkeit ankommt und es mir den meisten Spaß bereitete.


Du wurdest in Ost-Berlin geboren, bist groß geworden in Berlin-Marzahn, eine typische Plattenbaugegend. Wie war deine Kindheit und habt ihr auch in einer „Platte“ gewohnt?


Ja. (schmunzelt)

Wir haben Allee der Kosmonauten gewohnt, in einer 5-Raum Wohnung im 8. OG. Ich hatte das größte Zimmer, mit Blick auf die Allee der Kosmonauten, den Helene-Weigel-Platz und das Kino „Sojus“. Ich war wirklich begeistert und habe auch oft einfach auf dem Fensterbrett gesessen und rausgeguckt. Ich hatte eine wirklich schöne Kindheit, auch wenn viele Menschen Bedenken gegenüber Marzahn haben. Aber es war alles fußläufig zu erreichen: Schule, Schwimmhalle, Einkaufsmöglichkeiten. Ich war trotzdem mobil durch den ÖPNV. Und was viele gar nicht wissen: Es ist sehr grün und es gibt unglaublich viele Spielplätze und kleine Ecken zum Aufhalten. Unter der Woche habe ich mich oft mit Freunden getroffen, man spielte Basketball oder Tischtennis auf einer Steinplatte. Das war eine sehr schöne Zeit, zumal die Freunde auch alle in diesem Einzugsgebiet wohnten. Daher waren die Treffen immer unkompliziert. Und da es damals noch keine Telefone gab, wusste man, wenn Mutti mit dem weißen Handtuch vom Balkon wedelt, gibt es Abendbrot. Das hatte den positiven Nebeneffekt, dass unsere Eltern wussten, dass wir nicht weit weg sein können, denn wir mussten ja das Handtuch sehen. Ziemlich clever eigentlich.

Meine Eltern hatten nordöstlich von Berlin, wo wir jetzt auch leben, auch ein Gartengrundstück, wo wir die Wochenenden und Ferien in der Natur verbrachten. Deshalb kann ich wirklich sagen, dass ich eine sehr schöne, sehr behütete und eine sehr glückliche Kindheit hatte.


Du bist später dann nach Frankfurt/M., sowie zur Bundespolizei gegangen. Wäre deine Karriere auch ohne die Bundespolizei möglich gewesen, denn diese bietet ja die Möglichkeit, in der Ausbildung auszusetzen?


Genau, die Ausbildung ist so gestaffelt, dass man im Herbst für 4 Monate Ausbildung vor Ort hat. Man kann aber voll trainieren und wird von Trainern betreut. Danach ist man dann 8 Monate freigestellt für Trainingslager und die anschließenden Wettkämpfe. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt 2003 eine Zusage als Biologielaborantin in Frankfurt-Hoechst, gesteuert über den Olympiastützpunkt Hessen. Ich war sehr dankbar und hatte auch Interesse. Aber es stand die Frage im Raum, wie man das umsetzen kann. Das Problem waren die Berufsschulzeiten, denn die sind verbindlich. Man hätte sie sicher irgendwie nachholen können, aber wenn ich die praktische Zeit im Betrieb verbringe und als Biologielaborantin an einem Projekt beteiligt bin oder Bakterien züchte, kann ich ja nicht für mehrere Wochen aussetzen. Ich hörte dann von der Ausbildung beim Bundesgrenzschutz, habe mich beworben und wurde genommen und habe die andere Ausbildung abgegeben. Für mich war einfach vorrangig, wie ich am bestmöglichen meinen Leistungssport ausüben kann. Ich weiß nicht, wie es sonst gelaufen wäre. Sicherlich wäre es auch anders möglich gewesen, aber ich kann nicht sagen, ob es besser oder schlechter gelaufen wäre, da ich es ja nicht erlebt habe. Rückblickend betrachtet habe ich aber das für mich Richtige gewählt und es war die beste Entscheidung überhaupt.

Betty Heidler Feld Hammerwurf
Betty und der Hammer: Eine Erfolgsgeschichte


Hättest du auch ohne den Spitzensport diesen Weg eingeschlagen?


Weiß ich nicht. Vorher habe ich mir tatsächlich keine Gedanken darüber gemacht. Ich kam erst mit der Suche nach einer „perfekten“ Ausbildung auf die Bundespolizei. Mein Traumberuf wäre Tierärztin gewesen. Das ging aber nicht, da ich immer nach Gießen hätte pendeln müssen und außerdem war es nicht als Teilzeitstudium möglich.


In deiner Arbeit bei der Bundespolizei gab es auch Einsätze bei Fußballspielen. Gab es denn da auch mal brenzlige Situationen oder lief immer alles entspannt ab?


Ich hatte in der Tat auch brenzlige Situationen, aber hatte damals gute Kollegen an meiner Seite, die auch wussten, dass ich Leistungssportlerin bin. Ich wurde von ihnen gut geschützt. Ich hatte nie das Gefühl, überfordert zu sein oder dass etwas Schlimmes passiert. Es waren gute Einsätze und die bleiben auch hängen, aber wie gesagt: Ich hatte ich gute Kollegen um mich herum, die mir auch geholfen haben.


Was waren das für Situationen?


Hauptsächlich ging es um Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen, aber auch Einsätze auf Bahnsteigen und in der Bahn, teilweise auch mit Einsatz von Pfefferspray. Da ging es dann schon etwas heißer her, aber es gehört halt mit dazu. Das sind eben die Einsätze, bei denen man weiß, ich bin dafür da die Situation zu bewältigen und die umstehenden Menschen zu schützen. Solange es entspannt abläuft, ist alles schön und die Leute gehen friedlich nach Hause. Es kann aber auch anders laufen und dann ist es eben besser, wenn wir als Polizei vor Ort sind.


Bist du denn bei solchen Einsätzen auch mal erkannt worden?


Ja, das kam vor. Die meisten Menschen interessieren sich ja nicht nur für einen Sport. Viele der Einsätze waren auch in Berlin, wo ich ja eh bekannt war und dann wurde ich auch erkannt und angesprochen. Oft waren die Menschen überrascht, denn in Uniform erwartet man mich ja nicht unbedingt. Aber alle waren sehr nett und hatten Verständnis, dass ich keine Fotos mit ihnen mache. Ich habe erklärt, dass ich im Einsatz bin und sie auf das nächste Sportevent vertröstet. Das war dann auch ok für alle.


Fühlt man sich in dem Moment geschmeichelt?


Ich fühle mich immer geschmeichelt, wenn man mich erkennt. Ich freue mich und finde es cool, dass man bei den Leuten hängenbleibt. Natürlich habe ich mit roten Haaren auch einen guten Wiedererkennungswert. Ich finde es aber immer ganz süß, denn die meisten, die mich ansprechen, sind ganz schüchtern. Ich hatte auch ein, zwei aufdringliche Situationen, aber die meisten sind sehr nett, sehr höflich und sehr freundlich. Das sind schöne Momente.



Hattest du damals Rituale vor dem Wettkampf oder hast du vielleicht auch bestimmte Musik gehört, um dich zu pushen?


Ja, das gab es beides. Man könnte sagen, dass Musik mit ein Ritual war. Ich habe mich ab einem bestimmten Zeitpunkt zurückgezogen und abgeschottet. Ich hatte auch einen festen Zeitablauf, habe mir die Zeitpläne des jeweiligen Wettkampfs angeschaut und danach meine Essenszeiten und andere Abläufe festgelegt. Nach Anreisen zum Wettkampf, habe ich meine Beine kalt abgeduscht, damit die Durchblutung angeregt wird. Im Wettkampf habe ich darauf geachtet, wann die drittnächste Kontrahentin vor mir ihren Versuch hat. Dann begann ich selber aufzustehen und mich zu konzentrieren für meinen nächsten Wurf. Ich habe schon viele Rituale gehabt.

Die Musik selbst hat mich bis zum Callroom* begleitet. Wenn man die Kopfhörer aufsetzt, wissen die Leute auch, dass man gerade sein eigenes Ding macht und sich konzentriert. Da ist auch keiner böse und fast alle machen das. Ich habe unterschiedliche Musik gehört, meist stimulierende Lieder, etwas mit Beat, damit man in einen gewissen Takt kommt. Es waren aber keine festen Lieder, sondern alles, was mir gerade gefiel. Manche Songs konnte man irgendwann auch nicht mehr hören.


Was mir persönlich immer bei dir auffiel: Dein Blick war nach dem Abwurf immer direkt nach unten gerichtet. War das ein Automatismus in der Wurfbewegung oder hast du das bewusst gemacht?


Man hat ja nur begrenzt Platz und darf den Ring nicht verlassen. Bei den meisten Drehungen, kommt man dem Rand des Wurfringes recht nah. Ich hatte halt Angst überzutreten. Deshalb ging der Blick immer nach unten, um zu checken wo ich stehe.


Kommen wir zu Olympia 2012. Bei einem Versuch von dir hat die Weitenmessung versagt. Du hast in einem Interview danach gesagt, du wusstest, dass die Weite registriert ist und warst dann relativ schnell entspannt. Aber wie sauer warst du in diesem Moment?


Sauer war ich grundsätzlich gar nicht, zu keinem Moment. Ich war eher verwirrt, weil ich ja nicht gesehen habe, wie weit er war.

Moment, ich war doch sauer, und zwar den gesamten Wettkampf, aber auf mich selber. Ich war richtig angepisst über meine eigene Leistung, weil ich so schlecht war. Daher war dieser weiteste Wurf eigentlich ein Wutwurf. Die Situation mit dem Fehler habe ich aber erst gar nicht wahrgenommen. Ich hatte mich nur gewundert, da genau die gleiche Weite wie bei der Russin vor mir angezeigt wurde. Ich dachte „Na gut, kann ja mal passieren“. Mein Trainer meinte dann aber, ich solle beim Wettkampfgericht Einspruch einlegen, da es die falsche Weite ist. Also, ging ich hin und habe es denen gesagt. An dem Punkt, wo ich hätte sauer werden können, war der Wettkampf aber schon vorbei, es war ja der 5. Versuch. Da wusste ich aber schon, dass mein Einschlagloch markiert wurde, sie den Fehler erkannt haben und die Sache aufgeklärt wird. Ich hab es einfach nicht gerafft, sagen wir es mal so. (lacht)


Nach dieser Olympiade gab es dann diverse Ausschlüsse wegen Doping. Auch der Siegerin wurde Gold aberkannt. Jahre später hast du dann nachträglich die Silbermedaille bekommen. Wie hast du auf diese Nachricht reagiert und wie hast du davon erfahren?


Ich glaube, ich las davon in der Zeitung, dass die B-Probe der Siegerin Tatjana Lyssenko positiv war. Wir waren davon nicht überrascht. Wir kannten sie ja über mehrere Jahre und konnten sie beobachten. Und so wie sie in London aussah, war es uns klar.

Betty Heidler DOSB Olympia Silbermedaille Ehrung
Betty mit Olympiasilber

Hat man das an ihrem Körperbau gesehen oder was war auffällig?


Genau. Wenn man sich die Saison über fast jede Woche sieht, Athleten dann einen gewissen Zeitraum abtauchen und dann völlig verändert aussehen, wenn sie wieder auftauchen, dann kann man sich das schon erklären. Aber man kommuniziert das natürlich nicht, denn das steht uns nicht zu. Dafür gibt es die Anti-Doping-Kommission, die dann halt aufklärt, ob da etwas dran ist oder nicht.


Ist man nicht wütend auf die anderen Sportlerinnen, wenn man selber hart trainiert und andere bescheißen?


Nein, das ist nicht meine Art. Wenn es so wäre, dann hätte ich mich dazu entschlossen, keinen Leistungssport zu betreiben. Es gehört nun mal dazu und es gibt Nationen, für die ist Doping nichts Verbotenes. Für einige ist es ganz normal und die gehen auch davon aus, dass es alle anderen machen. Deshalb verstehen sie auch nicht, dass man daraus so ein Problem macht. Wenn ich mich für Leistungssport entscheide, dann versuche ich auch so mitzuhalten und zu zeigen, dass es auch anders geht, was wir ja zum Glück auch geschafft haben. Ansonsten lass ich es halt gleich bleiben, wenn ich das Gefühl habe, sowieso nie ganz vorne anzukommen, da andere immer besser sind. Selbst etwas Unerlaubtes zu machen, stand nie zur Debatte. Und dann müsste man halt die Konsequenz ziehen und aufhören. Was tatsächlich ein großer Nachteil ist, sind die höheren Trainingsumfänge. Die Belastung für den Körper ist immens. Klar haben die gedopten Sportlerinnen die chemische Gefahr, aber deren Trainingsumfang ist viel niedriger. Es ist schon ein Unterschied ob ich 10 Mal pro Woche trainiere oder das Gleiche in 6 Einheiten erreichen kann. Aber damit lebt man halt.


Da klingt etwas Resignation durch.


Naja, man kann ja nichts daran ändern. Zum einen kann ich nicht direkt gegen andere vorgehen, zum anderen kann ich nur probieren, mit meinem Körper das Bestmögliche zu erreichen. Aber was mir halt gezeigt hat, dass es geht, waren die Erfolge. So ironisch und makaber es klingt, aber wenn die Trainer bestimmter Athletinnen zu einem kommen und gratulieren, dann ist das wie eine Wertschätzung. Ganz merkwürdig. Aber dass es so ist, muss man halt leider hinnehmen.


Kommen wir nun wieder zu etwas Schönem. Du hast mal den Weltrekord gehalten mit 79,42 m. Das war 21.5.2011 in Halle/S. Wie war dieser Moment für dich, als du gemerkt hast, so weit warf noch keine vor mir?


Das kam auch sehr überraschend, ich war auch etwas sprachlos. Es war der erste Wettkampf nach dem Trainingslager. Wir wussten nicht, wie der Leistungsstand ist. Im Trainingslager gab es auch schon weite Würfe, aber der Platz auf dem wir trainierten, ging bergauf. Wenn man ebenerdig wirft, fliegt der Hammer ja aber doch nochmal ein Stück weiter. Ich war überrascht, da ich in der Wurfserie bereits deutschen Rekord warf, mit einem Wurf, den ich selber als nicht gut empfand. Ich wollte dann einfach gucken was geht, wenn ich einen Wurf besser treffe und das war dann halt der Weltrekord. Es war schon cool, aber hat sich nicht angedeutet. Umso schöner war es dann auch.


Hattest du in deiner aktiven Zeit befreundete Werferinnen oder Sportler aus anderen Disziplinen?


Ich war nie eine, die große Freundschaften mit der Konkurrenz geschlossen hat. Ich war immer entspannt und hab auch mit denen gequatscht, aber befreundet war ich eher mit Werferinnen aus anderen Disziplinen. Zur damaligen Zeit waren das unter anderem Nadine Kleinert (ehem. Kugelstoßerin) und Christina Obergföll (ehem. Speerwerferin). Wir waren unter anderem zusammen im Trainingslager und da lernt man sich natürlich gut kennen. Aber auch zu anderen Sportlerinnen gab es gute Kontakte.


Was war der schönste Wettkampf, beziehungsweise das schönste Meeting, an dem du teilgenommen hast?


Na, das im Odenwald in Fränkisch-Crumbach natürlich.


Und warum genau dieses?


Weil es meine zweite Heimat ist. Es ist sehr persönlich, sehr familiär und an diesem Tag steht der Hammerwurf einfach im Mittelpunkt. Es ist immer an Pfingsten, die Leute haben frei und kommen aus der ganzen Region, nur um uns zu sehen. Die Stimmung dort ist gigantisch und beflügelt einen auf jeden Fall. Deswegen ist es einer der schönsten Wettkämpfe, an den ich auch tolle Erinnerungen habe. Es gibt auch viele andere schöne Wettkämpfe, aber wenn du speziell nach dem Schönsten fragst, dann dieser.


Was war dein schlimmster Tiefpunkt sportlich gesehen? Gab es Momente, an denen du alles hinschmeißen wolltest?


Das hatte ich nie, da bin ich auch gar nicht der Typ für. 2005 in Helsinki und 2013 in Moskau blieb ich jeweils bei der WM in der Qualifikation hängen. Das sind so richtige Scheißmomente. Man bleibt unter dem, was man kann und steht sich selbst im Weg. Da ist man wirklich richtig fertig danach. Ich hatte auch mal einen Wettkampf mit der deutschen Nationalmannschaft im Europacup und da ist es ja so, dass man als Team antritt. Man hat dort auch nur vier Versuche und ich habe es geschafft, vier Mal in den Käfig zu werfen und null Punkte fürs Team zu holen. Da ist man natürlich die Buh-Frau des Tages und man fühlt sich auch so.


Hast du rückblickend auf deine Karriere etwas bereut oder würdest du etwas anders machen, wenn du die Chance hättest?


Grundsätzlich nicht. Ich habe viele Entscheidungen schon sehr bewusst getroffen. Sicher würde man das ein oder andere anders machen, gerade in den letzten Jahren, wo man sich doch etwas hat beeinflussen lassen von außen. Auch zum Ende hin, als das Ziel war über 80 Meter zu werfen, haben wir uns ein bisschen in Feinheiten verloren. Das würde ich im Nachhinein anders machen, aber wir waren schon recht erfolgreich und das nicht ohne Grund. Also haben wir scheinbar vieles richtig gemacht.

Betty Heidler Berge Bergsteigen
Betty genießt ihr Leben und will immer noch hoch hinaus.

Dein Urgroßvater Martin Riefstahl war einer der Fackelläufer bei der Olympiade 1936 in Berlin. Hast du ihn noch persönlich kennengelernt?


Nee, hab ich nicht. Ich wusste das auch ganz lange nicht und habe es erst erfahren, als ich mit dem Sport anfing. Da kam dann das mit meinem Urgroßvater raus und auch, dass eine Großcousine von mir (Anm. d. Red.: Cornelia Oschkenat) erfolgreiche Hürdensprinterin war. Als Kind habe ich das nicht wahrgenommen, das wurde dann erst später ein Thema.


Ich habe gelesen, du würdest die Fackel von damals aufbewahren wie einen Schatz. Warum bedeutet sie dir so viel?


Wenn ich weiß, dass sie aus der Familie kommt und mein Urgroßvater sie getragen hat, dann finde ich das natürlich bedeutsam und wichtig. Sie steht bei uns im Gästezimmer, zusammen mit anderen wichtigen Pokalen. Es waren ja auch einzigartige Spiele und das ist natürlich etwas Besonderes. Unabhängig von der Bedeutung für die Familie, würde ich wahrscheinlich jede olympische Fackel, die ich bekäme, besonders aufbewahren.


Also, wird sie auch flankiert von deinen ganzen Medaillen.


Nee, die bewahre ich extra auf in einer Vitrine, zusammen mit einzelnen Startnummern und Glücksbringern. Dazu gibt es verschiedene Regale mit Pokalen, Figuren und der Fackel.


Zum Ende des Interviews auch an dich unsere Abschlussfrage: Wenn du einen Wunsch frei hättest für die Menschheit oder den gesamten Planeten: Welcher wäre das und warum?


Jetzt komme ich wahrscheinlich mit den zwei Antworten, die auch viele andere sagen: Weltfrieden und klimaneutraler Umgang mit der Erde, denn das sind die Grundvoraussetzungen fürs Leben. Wenn wir nicht an unser Klima denken, dann wird es die Erde so wie sie ist wahrscheinlich irgendwann nicht mehr geben. Und Weltfrieden erhält halt auch das Leben.




Vielen Dank, liebe Betty, für dieses unglaublich spannende Interview. Wir wünschen dir für deine Zukunft nur das Beste und hoffen, dass auch du mit einigen Vorurteilen gegenüber Marzahn aufräumen konntest. Und damit schließt sich unser kleines, großes Interviewbüchlein für heute. Wenn euch das Interview gefallen hat, dann empfehlt uns doch weiter. Bis bald…


*Callroom: Der Bereich in dem ca. 1 Stunde vor Wettkampf die Ausrüstung der Sportler gecheckt wird, geschaut wird, dass keine elektronischen Geräte mitgenommen werden (Handys) und dort wo es nicht erlaubt ist, keine Werbung zu sehen ist.

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