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Nicole Heitmann: "Ich mochte den Sport von Anfang an."

Aktualisiert: 30. Jan. 2022


Acki. Das ist der Spitzname von Nicole Heitmann. Acki spielt American Football und das auf der wichtigsten Position. Acki ist Quarterback. Seit nun 20 Jahren zerlegt und filetiert sie gegnerische Defensiv-Reihen genüsslich. Was sie in dieser langen Zeit alles erlebt hat in ihrem Sport, wie alles anfing, über die Besonderheiten ihrer Position und noch vieles mehr, darüber stand sie uns geduldig Rede und Antwort. Aber lest selbst:


Nicole, du spielst seit 20 Jahren Football. Wie fing denn bei dir alles an?


Eigentlich total unbedarft. Als ich mit Football anfing, wusste ich weniger über den Sport als der normale Durchschnittsbürger heutzutage. Vor 20 Jahren war es ja auch noch mehr Randsportart, als es aktuell der Fall ist. Ich wusste, dass mit einem unförmigen Ball Elf gegen Elf gespielt wird und man diese komische Ausrüstung trägt. Viele denken, dass ich durch mein Auslandsjahr (Anm. d. Red.: In Potomac, Maryland, in der Nähe von Washington D.C.) zu diesem Sport kam, aber das ist nicht der Fall. Ich las in der Abizeitung einer Bekannten und erfuhr so, dass sie Football spielt. Ich wusste gar nicht, dass es das auch für Frauen gibt. Sie spielte in Kiel, ich wohnte damals in Schacht-Audorf. Mit dem Auto ist diese Strecke kein Problem. In den 1990ern betrieb ich neben Badminton auch Wettkampfaerobic und nahm an Wettkämpfen teil. Als sich die Aerobictruppe auflöste, blieb mir nur noch Badminton. Das lastete mich aber nicht aus und ich wusste, dass man sich wohl in keinem anderen Sport als American Football so richtig schön auspowern kann. Im Sommer traf ich dann zufällig meine Bekannte und wir sprachen auch über Football. Sie erzählte mir, dass man immer auf der Suche nach neuen Spielerinnen ist. Es dauerte ein halbes Jahr (mittlerweile war es November), bis ich dann beim ersten Training in Kiel in der Halle stand. Wie es der Zufall wollte, hatte ich mich zu einem Zeitpunkt gemeldet, als das Training nach der Offseason wieder aufgenommen und ein Rookie-Training angeboten wurde.

Ich wollte eigentlich nur zugucken, wurde aber verpflichtet, gleich mitzumachen. Die „alten Häsinnen“ begleiteten die Übungen und lernten uns an. Das hatte noch wenig mit Football zu tun, sondern war eher ein Zirkeltraining und auf Kondition ausgelegt. Ich fand es aber beeindruckend. Es war etwas völlig neues für mich, also blieb ich dabei. Einige Wochen später, am Anfang des nächsten Jahres, kam dann ein „Ausrüster“ vorbei, der Besitzer eines Sportgeschäfts in Hamburg. Bei ihm konnten wir unser Starterpaket, bestehend aus Helm, Pad und Klamotten, vor Ort anprobieren und gleich kaufen. Da hatte man natürlich nicht so viel Auswahl an Helmen und Pads, wie in dem Footballshop und vor allem nicht wie heutzutage. Aber trotzdem hat zum Glück alles gepasst. Zu dem Zeitpunkt war ich Azubi und die Ausrüstung verschlang das Anderthalbfache meines Monatsgehalts. Finanzielle Unterstützung meiner Familie bekam ich nicht, und so beschloss ich, dass das jetzt nicht nur eine Schnapsidee wird und ich American Football länger als nur einen Sommer betreibe. War ja auch nicht schwer, denn ich mochte den Sport von Anfang an.

American Football Frauenfootball Kiel Baltic Witches Nicole Heitmann
Acki bei den Kiel Baltic Witches (Mitte mit Ball)


Du hast gerade Badminton angesprochen. Wie lange hast du das denn betrieben?


Das spiele ich tatsächlich immer noch und habe es immer parallel zum Football betrieben. Es lässt sich auch so herrlich miteinander vereinbaren, da die Badmintonsaison eher im Herbst/Winter läuft, die Saison im Football hingegen eher im Frühling/Sommer.


Du bist ein Kieler Urgestein. Warum hast du aber 7 Jahre bei den Hamburg Amazons gespielt?


Ich habe 2001 in Kiel angefangen. Anfang 2007 standen wir vor der Situation, dass wir keine Mannschaft melden konnten, weil wir nicht genug Spielerinnen hatten. Zwei Mädels und ich gingen dann nach Hamburg, da wir weiter den Wettkampf suchten und nicht nur trainieren wollten. Der Plan war, nach einer Saison zurückzukommen. Für mich gab es dann aber einige Gründe, in Hamburg zu bleiben. Dort habe ich dann im Frühjahr 2014 aufgehört, weil ich mit meinem ersten Kind schwanger war. Wir bekamen zwei Kinder in relativ kurzem Abstand. Gedanklich hatte ich mit Football jedoch nicht abgeschlossen und auch mein ganzes Football-Zeugs hatte ich damals in der ersten Schwangerschaft nur wie zu einer Offseason weggeräumt. In 2017 wollte ich wieder mit Football anfangen. Da stand für mich dann aber fest, dass das nur in Kiel geht, weil der Weg nach Hamburg zu weit gewesen wäre. Also ließ ich alte Kontakte spielen. Es gab auch noch einige Spielerinnen, die ich von früher kannte und so habe ich im Winter 2017 das Training wieder aufgenommen.

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Wieder alles im Griff...


American Football ist ein sehr harter Sport. Gab es denn damals Bedenken von Freunden und Familie, als du dich dafür entschieden hast?


Bedenken von Freunden gab es nicht. Viele fanden es eher spannend und haben mich mit Fragen gelöchert. Meine Eltern hatten schon eher Bedenken, größtenteils wegen der Verletzungsgefahr. Sie haben genau ein Spiel von mir live gesehen, und in dem hat sich prompt jemand verletzt. Seitdem können sie das nicht mehr. Jetzt, wo ich selber Kinder habe, kann ich das verstehen. (lacht)

Es gab aber schon die ein oder andere Diskussion, da ich dem Sport vieles untergeordnet habe. Traurigerweise kommen Vorbehalte gegen Frauenfootball aber eher von Männern.


Was für mich völlig unverständlich ist. Jeder, der schon mal ein Spiel live gesehen hat, der weiß, dass sich die Damen nichts schenken und es ordentlich zur Sache geht.



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Konzentration beim Snap.

Natürlich werfen Quarterbacks im Frauenfootball nicht die Weiten wie ein Mann, natürlich sprintet ein weiblicher Wide Receiver nicht so schnell wie ein Mann. Das wäre aber auch so, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Technisch stehen wir den Männern in nichts nach. Es sind einfach andere physische Voraussetzungen, die uns unterscheiden. Bei uns ist aber genauso viel Herzblut, Ehrgeiz und Härte im Spiel wie bei den Männern. Was dem Frauenfootball aber guttun würde, ist besseres Coaching. Wer trainiert schon ein Frauenfootballteam? Das machen oft Coaches, die am Anfang ihrer Karriere stehen oder den Job interimsmäßig übernehmen. Ich selber spiele ja Quarterback und wenn dann mal ein Coach kommt, der vielleicht selber als Quarterback gespielt hat, dann ist das schon ein absoluter Luxus für mich.


Du hast deine Position eben angesprochen, nämlich Quarterback. Hast du diese Position schon immer gespielt und was macht für dich das besondere aus, auf dieser Position der Dreh- & Angelpunkt deines Teams zu sein?


Als Kind hatte ich eine kurze Handballkarriere und durch Badminton eine gute Hand/Auge-Koordination. Das müssen die Trainer bei meinen ersten Einheiten gemerkt haben. Ich konnte Bälle gut fangen und werfen ging auch einigermaßen. Damals suchte man nach einem neuen Quarterback, auch weil klar war, dass der damalige Quarterback in der Folgesaison 2002 nicht mehr da sein wird. Ich bin nicht gerade klein und wurde anfangs direkt auf die Position trainiert und ausgebildet. Es ist eine Position, die einem einiges abverlangt. Bälle werfen kann man trainieren, aber das ist ja nur ein kleiner Teil. Du musst bei Pässen gut antizipieren. Wie schnell läuft der Receiver? Wie sauber läuft er die Route? Wie ist meine Armkraft und wie bringe ich alle Informationen so zusammen, dass ich den Ball optimal platziere? Was außerdem unheimlich wichtig ist: Du führst die Mannschaft. Du musst ruhig bleiben. Du musst das Team motivieren. Das wurde mir auch immer eingebläut. Aber mach das mal, wenn du gerade deine Rookie-Saison spielst oder erst das zweite oder dritte Jahr. Du hast viel weniger Spielerfahrung als der Großteil der Mannschaft, aber sollst der ruhende Pol sein. Innerlich bist du aber eher das kopflose Hühnchen, was sich einfach nach 5 Minuten Ruhe sehnt. Das ist die Kernkompetenz des Quarterback. Klar gibt es das Playbook mit allen Spielzügen, aber das schützt dich nicht vor Drives, in denen nichts klappt, nervösen Mitspielerinnen oder einem Blackout. Ich erinnere mich an meinen allerersten Spielzug. Ich sagte den Spielzug im Huddle an, drehte mich um, lief zum Center und hatte alles vergessen, was ich eben angesagt habe. Oder folgende Situation: 4. Quarter, 30° Celsius, ein sehr körperbetontes Spiel. Dann kommen im Huddle vielleicht auch mal Fragen, auf die du in dem Moment unter Zeitdruck keine Antwort weißt. Das darf dich aber nicht irritieren oder verunsichern, sondern du musst Zuversicht und Selbstbewusstsein ausstrahlen. Das ist mitunter sehr schwierig, denn du hast eine gewisse Vorbildfunktion. In meiner Anfangszeit regte ich mich während eines Spiels einer Mitspielerin gegenüber einmal lautstark über ihr Unvermögen auf. Eine andere Spielerin nahm mich dann zur Seite und meinte „Das kannst du nicht machen. Du hast zwar Recht, aber das ist Aufgabe der Coaches und du darfst die Spielerin nicht demotivieren.“ Das öffnete mir die Augen. Du bist verantwortlich, die Mannschaft zusammenzuhalten. Gerade für junge Spieler ist das schwierig. In dieser Hinsicht hat mich Football total geprägt und auch in meinem Berufsleben hat es mir geholfen. Ich war zuständig für Planung, Organisation und Durchführung der Messeauftritte meines Arbeitgebers und hatte hohe Budgets zu verantworten. Der Aufbau des Messestands hat bis zu einer Woche gedauert und es läuft häufig nicht nach Plan. Meine Kollegen waren immer erstaunt, wie ich so ruhig bleiben konnte. Ich vermittelte den Eindruck, dass mich kein Problem aus der Bahn wirft. In mir sah es natürlich manchmal anders aus, aber das darfst du niemanden spüren lassen.

Quarterback zu sein heißt also nicht nur, die Bälle gut zu werfen. Du musst es schaffen, dass deine Mädels dir vertrauen. Das ist ein sehr elementarer Bereich des Quarterbacks. Zu führen, zu motivieren, Mut zu verbreiten - das kriegt nicht jeder hin.

American Football Frauenfootball Kiel Baltic Hurricanes Ladies Nicole Heitmann
Acki (hinten links) ist als Quarterback Kopf des Teams und immer mittendrin.


Bist du denn der Meinung, das gut zu beherrschen? Siehst du dich als echte Führungsperson auf dem Platz?


Ich wäre ja ziemlich eingebildet, wenn ich sagen würde, ich bin voll der Überflieger. Ich bin aber natürlich nicht mehr so aufgeregt wie in meinen ersten Jahren. Ich glaube schon, dass ich das ganz gut hinkriege. Vielleicht nicht für jeden, denn es kommt ja auch immer auf die persönliche Chemie an. Ich habe aber durchaus Feedback von Mitspielerinnen bekommen, die mir mitteilten, dass mit mir auf dem Platz eine gewisse Ruhe im Spiel herrscht und ich weiß, was ich tue. Ich maße mir aber nicht an zu behaupten, ich wäre unfehlbar. Auch ich habe schlechte Tage und schlechte Phasen. Ich will auch beim Training nicht immer als Vorbild vorangehen und die Übung als erste vormachen müssen. Im Großen und Ganzen bekomme ich das alles aber ganz gut hin, andere Leute zu motivieren und mitzureißen.

American Football Frauenfootball Kiel Baltic Hurricanes Ladys Nicole Heitmann
Das Wesentliche immer im Blick...


Jeder hat mal einen schlechten Tag. Auch ein Tom Brady ist nicht immer der G.O.A.T.


Ja. Und ich habe auch Momente erlebt, wo ich von der Blind Side gesackt wurde und es mich richtig durchgeschüttelt hat. Ich stand im nächsten Huddle und habe den folgenden Spielzug nicht vernünftig über die Lippen bekommen. Meine Stimme war zittrig und brüchig, ich habe tief durchgeatmet und meinte nur „Mädels, ich krieg das nicht hin“. Ich habe ihn dann irgendwie abgekürzt, alle waren mucksmäuschenstill. Es hieß dann nur „Alles gut, atme durch. Wir machen das jetzt für dich. Vertrau uns. Wir sorgen dafür, dass du genug Zeit bekommst und nicht wieder so unter Druck gerätst.“ Sie hatten ja auch gesehen, wie ich kurz zuvor durch die Gegend gekugelt wurde. Wenn du weißt, dass du dir als Anführer auch mal eine Schwäche erlauben kannst, dann funktioniert ein Team! Etwas Besseres kann dir nicht passieren.

Gerade im Football brauchst du eine komplette Teamleistung, um da hinzukommen, wo du hin möchtest.


To be continued...


Na, seid ihr auch gespannt wie es weitergeht? Dann freut euch mit uns auf Teil 2 des Interviews. Darin geht es um schwierige Momente, Verletzungen, unsere beliebte Abschlussfrage und vieles mehr.


Fotos: Christian Fenneberg; Manningeaux

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