Im heutigen Interview beleuchten wir eine Sportart, die den meisten unbekannt sein dürfte. Es geht um Sambo. Die 23-jährige Jule Horn wird uns daher etwas aufklären, was es mit dem Sport auf sich hat. Außerdem spricht sie über ihre sportlichen Anfänge (und warum ein Campingplatz in Frankreich daran nicht ganz unschuldig war), warum sie jungen Mädchen empfiehlt, sich einmal im Kampfsport auszuprobieren und ihre persönlichen Ziele und Vorbilder. Viel Spaß beim Lesen!
Jule, dein Sport heißt Sambo. Das Wort kommt aus dem russischen, ist eine Abkürzung mehrerer Wörter und heißt übersetzt so viel wie „Selbstverteidigung ohne Waffen“. Aber was genau ist Sambo?
Es ist in Deutschland noch nicht so bekannt. Ich habe selber auch erst vor 4 Jahren damit angefangen und komme ursprünglich vom Judo. Der Sport kommt aus Russland und wurde damals für die Rote Armee entwickelt, um die Leute für die Selbstverteidigung im Nahkampf auszubilden. Es ist eine Mischung aus Ringen und Judo und viele Techniken daraus fließen auch ein. Es wird tatsächlich auch heute noch bei der Polizei und Armee in Russland zur Selbstverteidigung angewandt und ist Teil der Grundausbildung.
Es wird aber auch nochmal unterschieden zwischen Sport-Sambo & Combat-Sambo. Wo genau liegen da die Unterschiede?
Im Sport bestehen die Unterschiede darin, dass beim Combat-Sambo Helme und Handschuhe getragen werden. Es sind Schläge und Tritte erlaubt und man kann auch durch K.O. gewinnen. Für Frauen wird bei internationalen Meisterschaften, wie den Europameisterschaften, bis jetzt nur Sport-Sambo angeboten. Es gibt aber inzwischen auch Wettkämpfe für Frauen im Combat-Sambo. Beim Sport-Sambo sind nur Würfe und Hebelaktionen erlaubt. Schläge und Tritte sind dort tabu, daher tragen wir dort auch keine Helme und Handschuhe.
Wie muss man sich die Helme vorstellen?
Sie sind aus Schaumstoff, ähnlich wie beim Amateurboxen. Die Handschuhe sind vorne offen, ähnlich Fahrradhandschuhen, da man ja auch greifen muss.
Du betreibst seit 4 Jahren Sambo. Wie hat aber sportlich bei dir alles begonnen?
Ich habe ursprünglich Judo betrieben, deshalb bin ich auch von meinem Heimatort Freudenstadt nach Karlsruhe gezogen, um weiter Leistungssport zu betreiben. Vor 4 Jahren hat mich eine Freundin aus unserem Verein angesprochen, ob ich es nicht mal probieren will. Das hat mir von Anfang an gut gelegen, deshalb bin ich dabei geblieben.
Und wie lange hast du Judo davor schon betrieben?
Judo betreibe ich seit meinem 10. Lebensjahr, deshalb musste ich im Sambo nicht bei null anfangen, da ich ja viele Grundtechniken bereits beherrschte.
Wie kamst du denn aber zum Judo? Das ist ja nun nicht gerade der typische Sport für junge Mädchen.
Das ist eine lustige Geschichte. Wir waren mit der Familie früher öfter in Frankreich auf einem Campingplatz und dort wurde es für Kinder angeboten. Ich habe dort einfach mal mitgemacht und bereits im 1. Jahr sagte mir der Trainer, ich solle unbedingt in einen Verein gehen, da ich Talent hätte. Nach dem 2. Jahr habe ich mich dann auch dazu entschlossen und bin dabei geblieben.
Wer sind die großen Nationen und Protagonisten im Sambo?
Ganz groß ist auf jeden Fall Russland. Dort ist es Nationalsport und populärer als Judo. Es kennt dort wirklich jeder. Die Ukraine, Kasachstan, Weißrussland und Usbekistan sind auch ganz gut dabei. Mittlerweile ist auch Frankreich gut aufgestellt und weit vorne. Hoffentlich zählt Deutschland in der Zukunft auch dazu.
In meiner Gewichtsklasse war die Weltranglistenerste mehrere Jahre in Folge, bis zu den Europaspielen 2019, ungeschlagen. Sie heißt Tatsiana Matsko und kommt aus Weißrussland. Bei den Männern kenne ich die Namen leider nicht so gut. Demnächst werden aber auch die Gewichtsklassen geändert, so dass alles neu gemischt wird.
2019 warst du bei den European Games in Minsk dabei und bist im Sambo angetreten. War es das bisher größte sportliche Ereignis in deiner Karriere?
Ja, auf jeden Fall. Es war etwas Besonderes dort Deutschland zu vertreten und auch die Größe des Events war beeindruckend, auch, dass so viele andere Sportler dort waren. Es gab mir ein echt cooles Gefühl.
Wie hast du dort abgeschnitten?
Ich landete auf dem 7. Platz, was ok für mich ist. Ich hätte gerne eine Medaille geholt, da ich auch weiß, dass es für mich drin gewesen wäre. Leider habe ich mich bei einem Kampf an der Schulter verletzt, deshalb war nicht mehr zu holen. Ich war aber trotzdem zufrieden.
Wie muss man sich das ganze drum herum vorstellen? Ist es ähnlich zu den olympischen Spielen, wo es ja große Dörfer für die Athleten gibt und man untereinander in Kontakt kommt? War das dort auch so?
Es ist wirklich ähnlich. Man hat ein großes Dorf, in dem die einzelnen Häuser nach Ländern unterteilt sind. Die Kontakte waren sehr international und sportübergreifend. Durch die italienischen Samboathleten kam man zum Beispiel in Kontakt mit den Boxern aus Italien, hat mit denen geredet. Aber auch zu anderen Nationen entstanden Kontakte.
Kommen wir zu deinen sportlichen Zielen. Sambo ist noch keine olympische Sportart. Kannst du dir vorstellen bei Olympia im Judo anzutreten?
Also, momentan habe ich mich international auf Sambo fokussiert. Die Konkurrenz ist nicht so groß wie beim Judo und es liegt mir auch mehr, da ich aufgrund der unterschiedlichen Techniken und Regeln besser damit zurechtkomme. Mein Ziel ist, bei den nächsten European Games 2023 in Polen eine Medaille zu gewinnen. Und die Hoffnung bleibt bestehen, dass Sambo mal olympisch wird. Bei einer Olympiade in Russland würde es auf jeden Fall mit ins Programm genommen, da bin ich dann aber bereits über 30. Ein weiteres Ziel ist der Gewinn einer Medaille bei den diesjährigen Weltmeisterschaften in Tashkent (Usbekistan).
Bist du privat schon in brenzlige Situationen gekommen, in denen du dich durch Sambo einfach selbstsicherer gefühlt hast und die du so besser meistern konntest?
Ich musste es privat nie anwenden, aber ich merke, dass ich nachts auf unbeleuchteten Wegen viel selbstsicherer bin. Ich weiß, dass ich mich verteidigen kann und habe keine Angst. Auch wenn man mal dumm angepöbelt wird, weiß man sich einfach besser zur Wehr zu setzen. Es gibt einem ein gutes Selbstbewusstsein.
Würdest du also jungen Mädchen oder Frauen durchaus empfehlen, sich in einer Kampfsportart auszuprobieren?
Auf jeden Fall. Es macht einen psychisch stärker. Man muss natürlich schauen, ob es einem liegt und Spaß macht, aber ausprobieren kann man es immer. Es hilft einem auf jeden Fall weiter.
Gibt es in deiner Kindheit sportliche Vorbilder, vielleicht auch aus anderen Sportarten?
Ohje, da muss ich überlegen…
Früher gab es einige Fußballspieler. Aber ich weiß noch, wenn wir früher Sport im Fernsehen verfolgten und deutsche Sportler auf dem Podest standen, dann sagte meine Mama immer: „Er oder sie ist gerade der glücklichste Mensch der Welt“. Von da an wollte ich auch so werden. Jetzt kann ich es natürlich besser nachvollziehen. Wenn man auf dem Podest steht, könnte man weinen, vor Freude es geschafft zu haben. Später wuchsen die Vorbilder mit mir. Früher im Judo waren es Kontrahentinnen, die besser waren als ich. Irgendwann habe ich sie überholt und ich suchte mir neue Vorbilder. Gerade aktuell gibt es im Sambo in meiner Gewichtsklasse eben die mehrfache Welt- und Europameisterin Tatsiana Matsko. Sie ist eine der erfolgreichsten Samboathletinnen und hält seit Jahren konstant den ersten Platz der Weltrangliste.Sie ist echt stark. Ich musste einmal gegen sie kämpfen und da merkte man wie willensstark sie ist. Ihre konstante Leistung über einen langen Zeitraum ist echt beeindruckend.
Wie sieht dein Alltag neben dem Sport aus und wie sind deine Pläne für die Zukunft?
Aktuell studiere ich Sportwissenschaften hier in Karlsruhe am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das passt sehr gut, denn es ist eine Partneruni des Spitzensports. Dadurch habe ich viel bessere Möglichkeiten, mein Studium mit dem Sport zu verbinden. Man kann sich mehr Fehlzeiten erlauben und der Lehrplan ist an den Sport angepasst. Es funktioniert sehr gut.
Später möchte ich auf jeden Fall etwas im sportlichen Bereich machen, am liebsten verbunden mit sozialer Arbeit. Ich bin mittlerweile auch im fünften Jahr bei einem Projekt in meinem Verein aktiv. Es heißt „Integration durch Sport“ und wir bringen dort Kindern aus dem Ausland Judo bei. Es macht mir sehr viel Spaß mit ihnen zu arbeiten und Werte durch Sport zu vermitteln.
Wir kommen leider schon zur letzten Frage. Wenn du einen Wunsch frei hättest für die Menschheit oder den gesamten Planeten: Welcher wäre das und warum?
In der momentanen Situation natürlich ein Ende der Coronapandemie und dass es nicht noch mehr Tote dadurch gibt, gerade in Ländern, die kein so gutes Gesundheitssystem besitzen. Ansonsten ist es natürlich leicht zu sagen, man erhofft sich Weltfrieden und keine hungernden Menschen mehr, aber genau das wünsche ich mir.
Vielen Dank für das sehr informative Interview. Wir wünschen dir auf deinem weiteren Weg nur das Beste und werden deinen Weg weiter verfolgen.
Damit schließt sich unser Interviewbuch für heute. Hat es euch gefallen? Dann lasst es auch andere wissen. Wir freuen uns auch weiterhin über Feedback und Anregungen jeglicher Art. Macht es gut…
Fotos: Laëtitia Cabanne, Stefan Lippert, Privat
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