Zehnkämpfer werden oft als „Könige der Athleten“ bezeichnet, da sie viele verschiedene Disziplinen absolvieren und vielfältige Fähigkeiten benötigen. Anna Matthes absolviert in ihrer Sportart gerade einmal die Hälfte der Disziplinen und doch ist sie vielfältiger aufgestellt, als Zehnkämpfer. Denn anders als im Zehnkampf, wo alle Disziplinen der Leichtathletik angehören, muss Anna sich als moderne Fünfkämpferin, auf fünf komplett unterschiedliche Sportarten einstellen und auch so trainieren. Wie das mit dem Training genau abläuft, welche Ziele Anna noch verfolgt und woraus genau sich Moderner Fünfkampf eigentlich zusammensetzt, dass und noch mehr, erlest ihr im folgenden Interview:
Anna, du betreibst Modernen Fünfkampf, eine Sportart, die viele unterschiedliche Eigenschaften erfordert. Bist du ein Allroundtalent?
Ich gebe mir Mühe. (lacht)
Tatsächlich bin ich kein Allroundtalent im klassischen Sinne, sondern muss mir vieles erarbeiten. Ich kann hart an Dingen arbeiten und kriege es dann meist auch ganz gut hin, würde aber nicht behaupten, dass ich ein großes Allroundtalent bin oder war.
Wie fing es bei dir überhaupt an? Es sind ja fünf sehr unterschiedliche Einzelsportarten und man startet die Laufbahn sicher nicht direkt mit Modernem Fünfkampf.
Ich habe tatsächlich ein bisschen herumprobiert, weil ich eine Nachmittagsbeschäftigung gesucht habe. Ich war damals nicht ganz ausgelastet. (schmunzelt)
Meine Schwester ging damals in Potsdam auf die Sportschule und spielte dort Fußball. Natürlich wollte die kleine Schwester auch auf die Sportschule und hat sich die Sportarten angeguckt, die dort angeboten wurden. Fußball war aber nichts für mich. Generell sind Ballsportarten nicht so mein Ding. Ich sah dann, dass Fünfkampf angeboten wurde. Da ich mich vorher bereits im Laufen, Fechten und Reiten versuchte, dachte ich mir „Ok, versuch halt mal Fünfkampf.“ Ich schnupperte in einer Minigruppe in die Sportart herein, es machte mir Spaß und ich bin dann einfach dabei geblieben.
Wie alt warst du da?
Ich war damals 9 Jahre alt.
Erklär uns doch bitte woraus sich der Sport genau zusammensetzt und wie die Einzeldisziplinen ablaufen.
Ein Finale besteht in der Regel aus 36 Teilnehmern. Eine Disziplin ist das Fechten, dort ficht Jeder gegen Jeden, der erste Treffer entscheidet. Somit ergibt sich eine Anzahl an Siegen und Niederlagen, daraus werden Punkte berechnet. Wir haben 1 Minute Zeit, manche Kämpfe sind bereits nach 2 Sekunden entschieden, aber ich hatte auch schon einen Kampf, wo der Treffer erst hundertstel Sekunden vor Ablauf der Zeit gesetzt wurde.
Und wenn keiner trifft?
Dann wird es als Doppelniederlage gewertet. Aber zurück zum Ablauf: Wir fangen mit Schwimmen über 200 m Freistil (Kraul) an, danach wird gefochten. Anschließend geht es zum Springreiten, dort haben wir 12 Hindernisse zu überwinden. Das Pferd wird uns zugelost, das heißt die Pferde werden vom Veranstalter gestellt. Man hat dann 20 Minuten um sich mit dem Pferd warmzureiten und anzufreunden, anschließend geht es in den Parcours. Als letztes absolvieren wir den Laserrun, eine Kombination aus Laufen und Schießen. Man kann es sich ähnlich wie beim Biathlon vorstellen. Einziger Unterschied ist, dass unsere Pistolen bereits am Schießstand liegen und nicht mitgeführt werden. Man läuft 4 Runden über je 800 Meter, dazwischen wird geschossen.
Und das passiert alles an einem Tag?
Genau. Wir starten meist gegen 9 Uhr und sind gegen 19 oder 20 Uhr fertig. Es gab Zeiten, in denen nur eine Disziplin pro Tag stattfand. Laufen und Schießen wurden auch separat absolviert, jedoch wurde es angepasst um es publikumsfreundlicher zu gestalten. Die nach den ersten drei Disziplinen erzielten Punkte werden in Zeitabstände umgerechnet, und vor dem Laserrun wird mit den errechneten Abständen nacheinander gestartet, sodass die erste Sportlerin im Ziel auch gleichzeitig die Gewinnerin des Wettkampfs ist.
Die Einzeldisziplinen erfordern die verschiedensten Fähigkeiten: Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Konzentration, aber auch Feinfühligkeit im Zusammenspiel mit dem Pferd. Wie sieht dein Training aus? Trainierst du jeden Tag pro Woche eine Disziplin?
(schmunzelt) Das wird sehr gern gefragt. Tatsächlich ist es so, dass ich pro Tag drei bis vier Disziplinen trainiere. Ich mache das ja quasi beruflich, da ich in der Sportfördergruppe der Bundeswehr bin. Da man in Deutschland, abgesehen vom Fußball, in den wenigsten Sportarten Geld verdienen kann, gibt mir das die Möglichkeit Vormittags, und nach einer Mittagspause, auch Nachmittags zu trainieren. An vollen Tagen können es auch alle 5 Disziplinen sein welche trainiert werden, aber das ist eher selten der Fall.
Wie sehen deine weiteren sportlichen Ziele aus?
Das große Ziel was viele haben, sind natürlich die olympischen Spiele. Leider war es nicht möglich mich für Tokio 2020 zu qualifizieren, da ich, auch durch Verletzungen, einfach zu wenig Punkte gesammelt habe. Mein nächstes großes Ziel sind nun die olympischen Spiele in Paris 2024. Im Juli wurde bei mir ein routinemäßiger Eingriff an der Hüfte vorgenommen, aber ich bin auf einem guten Weg. Paris bleibt also das Ziel.
Du bist angestellt bei der Bundeswehr. Wie sieht dein Alltag aus? Ist das tägliche Training deine Hauptbeschäftigung?
Es ist tatsächlich meine Hauptbeschäftigung. Ich muss meinen Trainingsplan bei der Bundeswehr abgeben und einmal monatlich persönlich in der Kaserne in Berlin erscheinen. Ansonsten ist mein Tag vollgepackt mit Training. Das ist quasi meine Arbeit.
Moderner Fünfkampf ist leider ein Sport, der nicht sonderlich im Fokus der Medien und Zuschauer steht. Triffst du oft auf Leute die behaupten, Fünfkämpfer können „alles ein bisschen, aber nichts richtig“ und wenn ja, was entgegnest du denen?
(lacht) Man könnte genauso gut sagen, dass Fünfkämpfer ganz viel können. Es kommt auf die Betrachtungsweise an: Ist das Glas halb voll oder halb leer!
Ich weiß natürlich, was die Menschen damit meinen und habe da kein Problem mit. Wir versuchen Spezialist in fünf verschiedenen Disziplinen zu werden. Die eigentlichen Spezialisten bewegen sich natürlich auf einem anderen Level. Wenn man dann unsere Leistungen mit denen der Spezialisten vergleicht, dann kann ich schon verstehen, dass Leute zu so einer Aussage kommen.
Wurdest du denn einmal direkt mit dieser Aussage konfrontiert?
Nein, das kam noch nicht vor. Wenn man sich persönlich mit Leuten unterhält, wächst im Laufe des Gesprächs auch eher das Erstaunen darüber, wie man so viele Sportarten miteinander vereinen und ausüben kann. Da kommt dann keiner auf die Idee zu sagen, man könne etwas nicht richtig. Es wird aber tatsächlich unterschätzt, dass es ein Beruf ist, und was an Herzblut und Leidenschaft daran hängt. Dazu kommt die körperliche Komponente. Es ist definitiv kein Gesundheitssport, ich kann ein Lied davon singen. Es kommt immer wieder zu Verletzungen. Und nicht zu vergessen die psychische Komponente. Wenn man Großereignisse wie Olympia verpasst, sich dann wieder aufzurappeln und zu motivieren, da braucht man eine gewisse mentale Stärke. Viele sehen Sportler bei den Großereignissen und Menschen, die sich wahnsinnig über Medaillen freuen, aber was dahinter steckt, sehen sie nicht. Das ist aber auch nicht schlimm.
Was war dein kuriosester Wettkampf in deiner Karriere?
Es gibt viele Erlebnisse, die sich im Laufe der Zeit ansammeln. Ich kann mich an einen Jugendwettkampf in Schweden erinnern, als der Laserrun noch ziemlich neu war, und somit auch die Laserwaffen, welche wir dort zur Verfügung hatten. Dort war es dann so, dass die Anlage nicht funktioniert hat. Es war immer ein bangen, ob deine Pistole funktioniert, oder eben nicht. Am Ende war es ein reines Glücksspiel wer die Veranstaltung gewinnt. Mittlerweile ist die Technik aber so ausgereift, dass so etwas nur noch selten vorkommt.
Der für mich überraschendste Wettkampf waren aber die Youth Olympic Games 2014 in Nanjing. Dort hat man sich wirklich Mühe gegeben. Es war ähnlich groß aufgezogen wie die olympischen Spiele, von der Eröffnungsfeier über das olympische Dorf, einfach alles. Ich hatte mich etwas glücklich qualifiziert, das kam überraschend. Am Ende habe ich die Bronzemedaille gewonnen, womit wirklich niemand gerechnet hatte. Es war sehr surreal. Für mich war es bereits ein absolutes Highlight dort teilnehmen zu dürfen. Wahrscheinlich hat mir das die nötige Lockerheit gegeben, den Wettkampf ohne Druck zu bestreiten. Das war tatsächlich der schönste Wettkampf mit dem kuriosesten Ergebnis.
Du hast selber mit 9 Jahren mit dem Sport begonnen. Welchen Rat würdest du jungen Menschen mit auf den Weg geben, die sich auch für modernen Fünfkampf entscheiden? Was hat dir damals geholfen?
Hm, das ist eine schwere Frage. Man sollte es unabhängig von Sportarten betrachten. Grundsätzlich würde ich jungen Menschen empfehlen, sich nicht früh auf eine Sportart festzulegen, sondern das zu betreiben, was einem Spaß macht. Gerade in jungen Jahren, ist das Training nicht sehr spezifisch, sondern noch recht allgemein gehalten. Von daher kann man noch gut ausprobieren, was einem Spaß macht. Mir hat bereits damals der Fünfkampf viel Spaß gemacht und ich liebte die Vielseitigkeit. Wem es genauso geht: Unbedingt machen. Wer etwas anderes lieber mag: Auf jeden Fall das machen. Nur wenn man sich den Spaß am Sport erhält, kommt man irgendwann oben an.
Bei den diesjährigen olympischen Spielen in Tokio stand eure Sportart leider negativ im Fokus der Weltöffentlichkeit. Wie hast du das Drama um Annika Schleu wahrgenommen?
Ich habe tatsächlich fast heulend vorm Laptop gesessen. Man kennt sich natürlich und wir haben auch schon zusammen trainiert. Das war schon echt schlimm, besonders der Shitstorm der danach über sie hereinbrach. Wenn man sie kennt, dann weiß man auch wie unfair das ist. Es gab ja auch teilweise Morddrohungen, wo ich mir sage „Leute, bleibt mal bitte auf dem Boden“. Es ist natürlich nicht alles optimal gelaufen, aber für sie war das schon schlimm genug. Dann im Nachhinein noch so draufzuhauen geht gar nicht.
Wenn es zu Morddrohungen kommt, dann geht es definitiv nicht nur einen Schritt zu weit!
Es ging deutlich unter die Gürtellinie. Auch ihr Lebensgefährte wurde in die Sache reingezogen und auch die deutschen Starter Patrick Dogue und Fabian Liebig haben schlimme Nachrichten bekommen. Wir sind alle etwas fassungslos, da wir so etwas beim Fünfkampf überhaupt nicht kennen. Wir haben normalerweise nicht diese mediale Bühne. Das der Sport nun diese große Aufmerksamkeit im negativen Sinne bekommen hat, ist schon dramatisch.
Wie hättest du an ihrer Stelle reagiert?
Ich habe mir dazu tatsächlich Gedanken gemacht. Es ist aber schwer zu beantworten. So etwas passiert wahrscheinlich nur einmal im Leben. Sie lag deutlich auf Goldkurs. Wenn sie nur halbwegs vernünftig durchs Reiten gekommen wäre, dann hätte sie sicher Gold geholt, da sie im anschließenden Laserrun zur absoluten Weltspitze gehört. Es kam vieles zusammen. Das Pferd war emotional nicht in der Lage diesen Parcours zu bestreiten. Das hat man vorher auch schon gesehen und man hat daraufhin versucht, ein anderes Pferd zu bekommen. Man hat den Tierarzt mehrmals das Tier begutachten lassen, hat beim Veranstalter angefragt, ob ein Wechsel möglich ist. Leider sagt das Regelwerk eindeutig, dass ein Wechsel eines körperlich gesunden Pferdes, welches der Tierarzt bescheinigte, ausgeschlossen ist. Meiner Meinung nach hätte die Jury es aber erkennen und einschreiten müssen. Davon hätten sich aber sicher andere Nationen wiederrum benachteiligt gefühlt.
Ich persönlich wäre aber auch aufs Pferd gestiegen und hätte es zumindest versucht. Was viele nicht verstehen: Olympische Spiele sind für uns das Größte was es gibt. Wir lassen viel Kraft und gehen durch viele Schmerzen für dieses Ziel. Daher wäre ich den Weg zu sagen, ich versuche es nicht einmal, auch nicht gegangen.
Das ein Wechsel des Tieres versucht wurde, ist ein interessanter Punkt. Nach diesem Vorfall, haben sich nämlich viele Menschen genau diese Frage gestellt, warum man es nicht versucht hat. Aber dem war ja scheinbar so.
Auf jeden Fall. Scheinbar ist es aber nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Man hat alle Regeln ausgeschöpft und mit der Jury gesprochen. In Nachhinein fiel auch auf, dass das Pferd eine Polotrense trug, welche zum Springreiten nicht optimal ist, zumindest nicht auf dem Niveau, auf dem wir uns bewegen. Wir sind keine professionellen Springreiter. Die Trense die dort verwendet wurde, wird normalerweise in Klassen auf einem hohen professionellen Level benutzt. Es ist ein Modell mit besonderen Eigenheiten, welche dem Pferd auch sehr wehtun kann. Bei der russischen Athletin, welche vorher bereits auf dem Selben Pferd ritt, hatte es sich schon angebahnt. Auch bei ihr gab es drei Verweigerungen, nach der vierten hätte das Pferd laut Regelwerk getauscht werden können. Aber so weit kam es nicht mehr, da das Tier nach der dritten Verweigerung bereits völlig perplex und nicht mehr zu führen war.
Du hast die Trense angesprochen. Ist die denn bei allen Pferden gleich?
Nein. Die Pferde werden vom Besitzer fertig gemacht. Dieser legt also fest, welches Material zum Einsatz kommt, und ob Sporen benutzt werden dürfen. Das ist klar vorgegeben. Das Pferd ist vorher auch gut mit dieser Trense gelaufen, aber ich sage ganz klar, dass solch ein Modell nichts bei einem Fünfkampf zu suchen hat. Wenn das Pferd nur mit solch einem speziellen Modell geritten werden kann, dann ist es für unsere Sportart einfach nicht geeignet. Wir müssen uns aber eben leider nicht nur auf ein völlig fremdes Pferd, sondern auch immer wieder auf unterschiedliches Material einstellen.
Sollte der Sport dann nicht, wie es danach auch vielfach gefordert wurde, grundsätzlich reformiert werden? Man bedenke alleine den Punkt, dass ihr nur 20 Minuten Zeit habt, um euch an ein fremdes Tier zu gewöhnen. Gerade beim Reiten ist ja eine gewisse Verbundenheit zwischen Reiter und Tier unabdingbar.
Auf jeden Fall. Ich glaube, zum Einreiten reichen 20 Minuten aus, um sich körperlich zu erwärmen. Allerdings stimme ich dir vollkommen zu, dass 20 Minuten viel zu kurz sind, um ein Pferd gut kennenzulernen und eine Bindung aufzubauen. Ich glaube aber auch, dass der Weltverband nach diesem Vorfall reagieren muss. Viele Athleten würden sich auch wünschen mehr Zeit zu bekommen, was der straffe Zeitplan am Wettkampftag aber nicht zulässt. Ich weiß nicht ob es umsetzbar ist, aber ich würde mir beispielsweise wünschen, dass die Zulosung der Pferde einen Tag früher stattfindet, damit man einfach mehr Zeit hat, um sich mit dem Pferd zu beschäftigen.
Dann kommen wir nun zu unserer Abschlussfrage. Wenn du einen Wunsch frei hättest für die Menschheit oder den gesamten Planeten: Welcher wäre das und warum?
Puuh, der Knüller zum Schluß…
Ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch seine Berufung findet und in dieser Hinsicht glücklich wird. Natürlich könnte ich auch Weltfrieden und Hungersnöte zu bekämpfen nennen, aber was wichtig wäre ist, dass Menschen nicht einfach irgendetwas machen, sondern etwas finden, was sie wirklich berührt und ihrem Herzenswunsch entspricht. Ich glaube das wird aber leider unterschätzt, weil einfach zu viele Leute nur das finanzielle sehen und Karriereleitern die erklommen werden wollen.
Vielen Dank für dieses sympathische Interview und diese sehr interessanten Einblicke. Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft und drücken die Daumen, dass dein Ziel Paris 2024 in Erfüllung geht. Wenn euch das Interview gefallen hat, dann empfehlt uns weiter, gebt uns Feedback und schaut regelmäßig bei uns rein. Bis zum nächsten Mal…
Fotos: Karsten Matthes, Kim Raisner, UIPM, Kryztoph Kuruc
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